Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Abreise ist der Damm oberhalb des Wasserfalls geschlossen. Mit sich selbst zufrieden schreitet Erik über seinen Hof. Doch die ersten Winterstürme bringen mehr Regen als Schnee und das Bauwerk hält dem Druck des überschäumenden Baches nicht stand. Im nächsten Sommer beginnt die Arbeit von vorn. Vergeblich, was gestern oben zwischen dem Felseinschnitt hielt, ist am nächsten Morgen wieder weggespült. »Ich werde siegen«, knurrt der Hüne. Ist sein Haar auch fast ergraut, den Kampfeswillen hat er nicht verloren. Da entdecken seine Knechte nicht weit von Steilhang, am Ufer des Fjords, eine verfallene Hütte, auch eine Steinaxt und ein morsches Fellboot. »Wir sind nicht allein.« Dem Zustand nach muss diese Behausung zwar schon lange vor Ankunft der isländischen Siedler verlassen worden sein, doch Erik schert es nicht. »Mögen die Kerle auch gestorben sein, dann sind es vielleicht ihre Geister, die meine Mauer einreißen.« Fortan lässt er die Ruine bewachen. Scheinbar mit Erfolg …
… das Jahr 1000: Der neu errichtete Damm widersteht den Frühjahrsfluten und in dem schmalen Hochtal oberhalb des Wasserfalls staut sich der Bach …
PATER ERNESTUS
D as erste Wochenende im August! Sein großer Tag war gekommen. Erik hatte Thjodhild gebeten, Freydis musste mit ihren beiden Brüdern gehorchen und er hatte es sich nicht ausreden lassen, auch Nachbar Ingolf Arnesson samt Familie zu dem Ausflug einzuladen. Nach einem Ritt vorbei an den halb abgemähten Hauswiesen, dann mitten durch hoch stehendes Gras bis zum Ende der Weiden von Steilhang waren die Pferde schließlich schnaubend den schmalen Pfad hinaufgetrottet.
Um die heilige Zeremonie zu vollziehen, erstieg der Bauherr neben dem Damm einen Felsbrocken, dort verschränkte er seine Arme und nahm zunächst sichtlich gerührt Glückwünsche und Lob entgegen. Selbst das Wetter feierte mit ihm, denn vom wolkenlosen Himmel strahlte die Sonne auf seinen kleinen Stausee herab. »Lasst uns den Göttern danken!« Er hob den Blick und begann mit mächtiger Stimme die Gemeinschaft in Walhall zu grüßen.
Verstohlen drehte sich Freydis um und schnitt Grimassen, bis beide Töchter des Nachbarn loskicherten. Sofort wurden Ingva und Sigrid von der Mutter mit kurzen, harten Püffen gemaßregelt, während die eigentlich Schuldige längst wieder voller Hingabe der Zeremonie lauschte.
Thjodhild hatte das Spiel von Freydis beobachtet. Was bist du nur für ein Wesen, dachte sie. Vor vier Jahren, bald schon, nachdem Leif und Tyrkir abgesegelt waren, hatte die Tochter begonnen, sich bei dem Vater einzuschmeicheln. Sie striegelte heimlich seinen braunweiß gescheckten Hengst, brachte unaufgefordert den Becher; selbst am Saunatag gelang es ihr regelmäßig, wie durch Zufall den Weg Eriks zu kreuzen und dann auch noch das Badetuch zu verlieren. Sie nahm es nicht gleich auf und verschwand im Frauenhaus, nein, erst wurden die Haare mit unschuldigem Blick geordnet, dann eine Drehung und schließlich beim Bücken der Hintern gereckt.
Thjodhild schüttelte den Kopf. Nie hatte Erik die Tochter darin bestärkt, aber dieses junge Weib versuchte tatsächlich, den Vater zu umgarnen. Auch saß sie ihm zu Füßen, wenn er vom Dammbau sprach, und hatte noch nach Einzelheiten gefragt, wenn ihm längst keiner mehr zuhören mochte. Und heute? Ausgerechnet an seinem Ehrentag störte sie die Feierstunde.
»… und möge von nun an die starke Hand Thors den Damm schützen. Auf dass unsere Wiesen stets genügend Wasser erhalten und wir im Herbst reiche Heuernte in die Scheunen bringen können!« Kaum hatte Erik geendet, als er erneut zum Himmel wies. »Ein Zeichen. Da seht ihr!« Hoch im Blau zog ein weißer Falke seine Kreise über dem See. »Göttin Freya selbst ist zu unserm Fest erschienen. Welch großes Glück.«
Thorstein beteiligte sich nicht am ehrfürchtigen Staunen der Erwachsenen, er hatte sich einen Stein gesucht und forderte seine Schwester durch Gesten heraus.
»Na gut«, flüsterte sie. »Aber du zuerst. Zeig, was du kannst!« Der Elfjährige bog den Arm zurück und schleuderte das Geschoss weit über den See. Fast am anderen Ufer platschte der Stein ins Wasser.
Das Geräusch zerstörte die Andacht. Ehe Thorstein fliehen konnte, sprang sein Vater vom Felsblock herunter und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. »Wie kannst du es wagen!«, schnaubte er. Nur kurz flackerte die Wut in seinem Blick und gleich wieder freundlich lud der Baumeister seine Gäste ein, mit ihm nun die
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