Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
die Raben, in ihrer Ruhe gestört, sich mit empörtem Gekrächz auf die zerklüftete Felsspitze zurückgezogen hatten. Immer wieder war Tyrkirs Blick zu diesen Kundschaftern der beiden Urraben Hugin und Munin hinaufgeschweift.
Auch jetzt, während er mit seinen Leuten und den Zugtieren erneut in die frei gehauene Schneise stapfte, sah er sich nach ihnen um. Sie belauern jeden unserer Schritte, dachte er, so als hätten wir ihren heiligen Bezirk geschändet. Ach, was scheren dich die Raben, beruhigte er sich, wir benötigen Holz und der Wald ist unser Eigentum. Morgen arbeiten wir noch hier, danach kehren wieder Frieden und Stille um den Bergsee ein und die schwarzen Wächter können auch tagsüber ungestört ihre Posten in den Kronen der Birken oder Eschen einnehmen.
Je näher die Männer dem Bergvorsprung kamen, umso härter mussten sie gegen Wind und Regen ankämpfen. Selbst das Tosen des Wasserfalls wurde vom Wettergeheul übertönt. Auf einer Breite von zehn Pferdelängen hatten sie den Wald gerodet und zwischen den gefällten Stämmen und Stümpfen waren nur vereinzelte Büsche übrig geblieben, schutzlos bürstete und zerrte der Sturm an ihrem Blattwerk. Wolkenriesen trieben dicht über den Köpfen der Männer und wie ein Sturzbach schlug der Regen auf die freigelegte Fläche und spülte Erde aus dem porösen Gestein.
»Noch zwei! Schirrt die Gäule vor!«, schrie Tyrkir den Knechten zu. »Achtet auf die Stricke! Dann ist Schluss für heute!« Die restlichen Stämme sollten sie morgen hinausschaffen.
Abgekämpft erreichte der Trupp am späten Abend den Hof. Schutz und Geborgenheit unter einem festen Dach, welch ein Geschenk an solch einem Tag! Bald trockneten Hosen und Kittel auf der Leine nahe dem Langfeuer; und Fleischbrühe, von Katla zubereitet, wärmte die Männer von innen.
In eine Felldecke gehüllt saß Tyrkir bei Erik. »Solange das Unwetter anhält, hat es wenig Zweck«, meinte er.
»Ganz gleich. Unsere Leute müssen wieder rauf zum Wald.« Der Rote ließ den Fischbeinstocher sinken, mit dem er seine Zähne säuberte. »Wir brauchen das Holz. Wenn Thjodhild und der Junge in zwei Wochen kommen, soll wenigstens im Haus alles fertig sein.«
Wie gut Tyrkir den Freund verstand, zu frisch waren die Erinnerung an den Hof auf Spitzklipp und diese Verzweiflung in Thjodhilds Miene, als sie zum ersten Mal die erbärmlichen Gebäude dort oben sah. Erik wollte ihr jetzt ein Zuhause bieten, in das sie voller Freude und Stolz einziehen konnte. »Also abgemacht«, sagte der Verwalter und gähnte ausgiebig. »Gleich in der Frühe schicke ich die Männer los.« Falls der Boden in der Schneise zu aufgeweicht wäre, dann würden sie in jedem Fall die bereits vor dem Wald liegenden Stämme aufladen und herbringen. »Jetzt werde ich mich erst einmal langstrecken.« Feixend sah er zur Schlafkammer hinüber.
»Ja, mach’s dir nur bequem, Schlaukopf!« Erik verzog das Gesicht. Zum Lohn für die Schnitzarbeit an Kopf und Fußende des Ehebetts hatte sich der Deutsche das Recht ausbedungen, bis Thjodhild einzog, allein darin zu nächtigen, und sein Herr musste derweil mit einem Schlafplatz beim Gesinde vorlieb nehmen. »Zwei Wochen noch. Bei Thor, dann ist endlich Schluss!«
In der Nacht nahm der Sturm zu. Unterhalb des Wasserhorns hatte der Regen inzwischen von der gerodeten Fläche alles Moos und sämtliche Erde bis hin zum Bergvorsprung weggespült. Die Wurzeln der Baumstümpfe lagen frei und haltlos auf dem nackten Gestein. Ungehindert drang das Wasser tiefer in die Felsrisse. Kleine Brocken lösten sich von der porösen Kante und rollten ins Tal. Eine gewaltige Böe erfasste am Rand der Schneise die vorderste Esche, sie stürzte und riss im Fall den Baum neben ihr mit sich, durch die Wucht knickte auch die nächststehende Birke und wie von einer unsichtbaren Kette gezogen brach der Wetterschutz des Waldes nach und nach zusammen.
Der Morgen graute. Zwar hatte sich der Wind gelegt, doch immer noch prasselte der Regen und drang tiefer ins zerklüftete Gestein. Dumpfes Brechen erschütterte den Bergvorsprung. Sofort hoben sich die Raben flügelschwer aus ihren Schlafnischen und kreisten klagend über dem schroffen Felshorn.
Ein Spalt entstand, er klaffte von der halben Länge der Schneise quer hinüber bis zum See. Gestein und Schlamm rutschte und sank langsam ins Bodenlose, nahm Bäume, nahm den ganzen vorderen Teil der Bergnase mit sich, riss tiefer gelegene Felsen los, die Lawine wuchs und wälzte sich mit
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