Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
gelang es ihm, wieder zu sprechen. »Unrecht«, flüsterte er. »Niemals kann ich das ertragen.« So auf den Knien wies er zum glutroten Ball im Westen. »Siehst du die Sonne? Ja, sie geht nicht mehr unter, die Nacht gehört dem Tag. Keine Dunkelheit mehr. Und ich wollte Thjodhild und dem Sohn das lange Licht schenken und sie hier in meinen Armen halten.«
Tyrkir wartete still, endlich erhob sich der Freund und gefährliches Glühen stand im Bernstein seiner Augen. »Rache, dieses Recht gehört mir.« Vorbei war das Klagen, beinah sachlich stellte er fest: »Ich muss meine Ehre zurückgewinnen, anders wird Thor in mir keine Ruhe finden.«
»Du willst also Krieg?« Tyrkir ging auf den Ton ein. »Dann teile ich noch heute Waffen an unsere Knechte aus?«
»Lass nur!« Der Frieden im Habichtstal dürfe nur so kurz wie nötig gestört werden. Mit den beiden Mördern wollte der Rote allein kämpfen.
»Wir sind zwei.« Offen blickte ihn Tyrkir an. »Auch wenn mir deine Kraft fehlt, den Rücken kann ich dir decken.«
Mit einem bitteren Lächeln legte Erik dem Schmächtigen die Hand um den Nacken und zog ihn an seine breite Brust. »Danke, Schlaukopf. Ja, ich brauche dich.«
Nebeneinander stiegen sie ein Stück bachaufwärts. Zunächst war noch Vorsorge für den Hof zu treffen. Morgen sollte ein Trupp die Toten bergen, auch musste unbedingt das Holz heruntergeschafft werden. Denn gleich nach der Rückkehr wollte Erik mit dem Ausbau des Wohnhauses fortfahren. So würde sich der Einzug Thjodhilds vielleicht nur um zwei Wochen verzögern.
Nicht einen Gedanken verschwendete er daran, dass der Rachezug womöglich auch den eigenen Tod bedeuten könnte. Bewundernd betrachtete ihn Tyrkir von der Seite. Das ist besser so, dachte er, es genügt schon, wenn ich mich fürchte.
»Kein Schlaf«, entschied Erik. »Sobald wir die Waffen vorbereitet haben, reiten wir.«
Ehe die Verfolgung aufgenommen werden konnte, mussten sie zunächst zum Habichtshof, ohne den Segen der Familie und vor allem ohne Thjodhilds Einverständnis durfte und wollte er nicht in den Kampf ziehen.
Während Tyrkir mit einem Knecht die Waffentruhen vors Wohnhaus schleppte, unterrichtete der Rote in knappen Worten das übrige Gesinde, teilte die Arbeiten ein und bestimmte den Platz, an dem die Toten begraben werden sollten. Hiernach wählte er auf der Koppel vier starke, schnelle Pferde aus, jeden Huf, jede Fessel unterzog er einer sorgfältigen Prüfung.
Tyrkir war mit dem Zustand der Waffen zufrieden. Dank in Fett getränkter Lappenwickel wiesen die Klingen der langstieligen Streitäxte wie auch Dolche und Lanzenspitzen keinen Rost auf. Die gewöhnliche Bewaffnung, die sie täglich bei sich führten oder im Haus griffbereit hatten, genügte für den bevorstehenden Kampf nicht.
Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft auf Island nahm Tyrkir heute die besonders gut gefertigten Bogenhölzer, Sehnen und Pfeile, die matt schimmernden Kettenhemden und Hieb- und Stichwaffen zur Hand. Jedes geprüfte Teil legte er getrennt für Erik oder sich ins Gras. Nichts durfte jetzt dem Zufall überlassen werden, die kleinste Beschädigung, Bruchstelle oder gerissene Öse konnte den Tod bedeuten. Vom Knecht ließ er die beiden buckelrunden Helme mit einem Gemisch aus Seehundfett und Sand abreiben, hiernach sollte er Asche und eigenen Speichel mengen und die Oberfläche polieren. Glänzen musste das Metall, blitzen, um den Gegner zu erschrecken. Er selbst widmete sich den Rundschilden.
Als Erik die aufgezäumten Pferde auf den Vorplatz führte, hatte sich Tyrkir gerade für fünf Schilde entschieden, deren Holz fest gefügt, deren lederne Außenhaut und das spitz geschliffene Horn auf der Metallwölbung in der Mitte unversehrt waren.
»Lang ist es her«, brummte der Rote beim Anblick des Arsenals. »Zuletzt haben der Vater und ich uns damit in Norwegen gerüstet.«
»Mir wäre leichter, wenn die Waffen in der Truhe bleiben könnten«, seufzte Tyrkir. »Damals haben wir gewonnen und doch verloren.«
»Kein Wort davon! Wir bestrafen die Mörder unserer Knechte. Danach ist Schluss. Einen Krieg zwischen den Familien wird es nicht geben.«
»So soll es sein«, lenkte der Deutsche ein und hoffte im Stillen, dass die Vorsehung ihnen gnädig sein möge.
Schweigend streiften beide das Untergewand aus dickem, fest gewebtem Tuch über, schnürten die Lederschuhe, darüber wickelten sie Beinschützer bis hoch zum Kniebund der pludrigen Hosen, hiernach legten sie das Kettenhemd an. Jeder
Weitere Kostenlose Bücher