Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Schlaukopf?«
»Ich wünschte, er würde sich besaufen, bis er umfällt. Dann wäre mir morgen leichter.«
Morgen? Tyrkir fröstelte. Noch nie hatte der Freund auf einem Holmgang gestritten. Damals in Norwegen waren sie oft als Zuschauer dabei gewesen, mehr aber nicht. Er sah die Kämpfer auf dem zweimal fünf Ellen großen Lederviereck. Der Schiedsrichter gab das Zeichen für den Beginn. Schlag nach Schlag, abwechselnd hieben sie aufeinander ein. Schilde brachen, neue wurden gereicht. Wie viele Schilde standen jedem zu, ehe der Kampf nur mit bloßer Waffe weitergeführt werden musste? »Kennst du die Regeln?«
Statt einer Antwort hörte Tyrkir gleichmäßiges Schnarchen. Ja, schlaf nur!, dachte er. Wenn du schon hungrig bist, sollst du wenigstens im Schlaf Kräfte sammeln. Er blickte zurück, das Tal aufwärts in Richtung Wasserhorn. Schwarz ragte das Gebirge gegen den hellen Himmel. Ob Thjodhild heute Nacht Ruhe findet? Ganz sicher nicht. Sie wird in ihrer Kammer sitzen, vielleicht auch draußen stehen und auf uns warten. Ja, sie hält Wache, genau wie ich. An dieser Vorstellung wollte er sich wärmen.
Viele waren gekommen, selbst von den Nachbarhöfen, und nicht allein Männer, auch einige Frauen mit ihren Kindern und Halbwüchsige, mit Mützen und in groben Umhängen. Wolken hatten das Tal verdüstert. Niemand lachte laut, niemand rief, die Spannung dämpfte jeden Lärm. Da vor wenigen Augenblicken der Opferstier von zwei Knechten herangeführt worden war, konnte der Beginn des Schauspiels nicht mehr lange auf sich warten lassen.
In respektvoller Entfernung standen die Leute und beobachteten den alten, buckligen Mann, der mit dem Amt des Kampfrichters betraut worden war. Beinah umständlich wirkten seine Bewegungen, mit denen er den Holmplatz vorbereitete. Gerade trieb er den letzten Pflock an der vierten Ecke des ausgebreiteten Lederteppichs in den Grasboden. Mit jedem Schlag bückte er sich tiefer, als nur noch ein kleiner Stumpf aus der Öse ragte, blickte er zwischen seinen gespreizten Beinen hindurch zum Himmel, fasste eins seiner Ohrläppchen und murmelte einen Spruch vor sich hin.
Tyrkir verstand ihn nicht, wollte es auch nicht. Dieser Kauz war einer aus der Sippe des Gegners und wer wusste schon, ob er nicht einen Zauber für Hravns Sieg erflehte? Würde er später wirklich gerecht und unparteiisch sein? Aus Vorsicht hatten die beiden Freunde, ehe sie vom Hügel hinuntergeritten und auf dem ihnen zugewiesenen Platz neben der Holmstatt angelangt waren, mit Thor wie auch dem weisen Tyr innige Zwiesprache gehalten.
Außer dass keine Streitaxt benutzt werden durfte, kannte Erik die Regeln tatsächlich nicht. Genau beobachtete Tyrkir deshalb den Riesen und seinen Waffenhelfer auf der anderen Seite des Teppichs. Weil drüben der Kinnriemen des Helms festgezurrt wurde, überprüfte Tyrkir sofort das Lederband unter Eriks Kinn. Ebenso den Sitz des Kettenhemdes, dann Schwertgurt und Dolche, auch die Beinschienen und Knoten der Stiefelbänder.
»Da, wozu soll das gut sein?«
Beide starrten verblüfft hinüber. Hravn ließ sich das Schwert an den rechten Unterarm binden, an einer Schlaufe baumelte es lose hinunter. Zur Probe fasste er den Speer mit beiden Fäusten, vollführte einen Stoß, warf ihn beiseite und hatte mit einem kurzen Schlenker den Schwertgriff in der Rechten.
»Bei Loki, dem Verschlagenen«, knurrte Erik, »damit’s schneller geht, deshalb.«
»Willst du auch? Soll ich?«
»Nein, verdammt. Das Kunststück hab ich nicht geübt. Nachher stolpere ich noch über meine eigene Klinge.«
Tyrkir unterdrückte den Seufzer. Also besaß der Gegner, abgesehen von seiner Größe und der Erfahrung beim Holmgang, noch einen Vorteil, dem Erik nichts entgegensetzen konnte.
Inzwischen hatte der Schiedsrichter den Kampfplatz eingehaselt. In eckigen Hüpfern folgte er dem fußbreiten, durch vier Stecken markierten Gang entlang der Teppichränder. Noch ein letzter prüfender Blick und mit seiner Arbeit zufrieden baute er sich neben dem Opferstier auf. »So hört!«
Er musste die Aufforderung wiederholen und endlich kehrte Ruhe ein. Als alle Blicke auf ihn gerichtet waren, begann er mit schrill keifender Stimme: »Wer hat nach dem göttlichen Urteil verlangt?«
»Ich, Hravn Arisson.« Begleitet von seinem Helfer trat der Riese vor.
»Aha. Wen hast du gefordert?«
Die Faust zeigte hinüber zu Erik.
»Aha!« Der Alte befeuchtete die Lippen. Sichtlich genoss er die Ehre seines Amtes und setzte das
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