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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Ende des Zeltplatzes hinaufgestiegen. Dort stand er auf der Höhe, bis der Gutsherr mit seinen Sklaven davongesegelt war.
    Die ersten beiden Male hatte Tyrkir den Traum nach dem Erwachen beiseite gewischt. Nicht daran denken, so wird er verdorren. Aber er war wiedergekommen, deutlicher, die Bilder größer, scharf und schmerzend. Ergründe ihn jetzt, befahl sich Tyrkir, sonst wird er übermächtig. Wenn wir morgen auf den Gerichtstag nach Thorsness segeln, darf der Traum meinen Verstand nicht lähmen.
    Er zog die Beine an und legte das Kinn auf die Knie: Du trägst unseren Glücksstein den Berg hinauf und verlierst ihn. Du läufst ihm nach, doch er entgleitet dir immer wieder. Tyrkir lächelte bitter. Bis dahin bedurfte es keiner Weisheit, den Sinn zu deuten. Das Ende, nur darauf kam es an. Erinnere dich genau! Sobald unter dir der Stein im schwarzen Wasser versinkt, wachst du auf. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen? Hoffnung für Erik, Thjodhild und mich? So muss es sein. Der Traum beweist, dass wir nicht für den Abgrund bestimmt sind! Selbst wenn es jetzt auch so aussehen mag.
    Im ersten Moment wollte Tyrkir den Freund wecken, zog aber gleich den Arm zurück. Nein, Erik benötigte den Schlaf, um Kraft zu sammeln für die Thingversammlung. Später werde ich ihm von dem Traum erzählen, nahm er sich vor, später, wenn wir das Glück wirklich gefunden haben.
    Wie ein zertretener Wolfsschädel wucherte das flache Gebiet aus der gebirgigen Schneefelshalbinsel in den Breidafjord hinein. Darüber dehnte sich der Himmel. Hoch im Blau reisten vereinzelte Wolkenballen nach Osten. Es gab keine Nacht mehr, nur noch diesen einen Tag, dessen Licht nicht mehr verlosch.
    Thorsness, die Thingstätte auf der äußersten Landzunge, war Mitte Juni das Ziel aller freien Männer Westislands.
    Vor dem abgesperrten Gerichtsbereich schoben sich die Besucher in den Gassen der Zeltstadt und zwischen den Ständen auf dem Warenmarkt. Gewaschene Gesichter, gekämmtes Haar, es roch streng nach den mit Seehundfett gebändigten Bärten, einige waren sogar zu speckigen Zöpfen geflochten; ob reich oder arm, jeder Mann trug sein bestes Festgewand zur Schau: weiche Pumphosen, verzierte Gürtel und Mäntel oder Umhänge aus farbigen Webstoffen, die prächtigsten von ihnen waren mit Kragen vom Silberfuchs besetzt. Neu ankommende Freunde wurden mit Bier und Begeisterung willkommen geheißen, den Feinden ging man möglichst aus dem Weg, weil die Friedenspflicht oberstes Gebot dieser Woche war.
    Niemand beachtete die beiden ungepflegten Männer. Ihre Kappen tief in der Stirn schoben sich Erik und Tyrkir durch die Menge und suchten nach der Unterkunft Thorbjörns. Auf dem Markt zögerte der Hüne bei einem Schmuckstand. »Wenn’s anders wär«, brummte er, »hier könnt ich meiner Thjodhild eine schöne Brosche kaufen.«
    »Später vielleicht.« Tyrkir zog ihn weiter.
    Nicht auffallen, lasst euch in kein Gespräch verwickeln, das war ihnen von Thorbjörn noch an Bord seines Seevogels eingeschärft worden. Der Gode hatte sich bereit erklärt, die Verteidigung des Freundes zu übernehmen. »Jeder in der Zeltstadt kennt inzwischen deinen Namen, Erik, weiß längst von den Ereignissen im Habichtstal und auch vom Kampf bei Spitzklipp, dafür hat der Breidabauer mit Sicherheit gesorgt. Aber die wenigsten kennen bisher den Mann, der zu dem Namen gehört. Thorgest wird nach dir suchen, um dich möglichst bald den Leuten zu zeigen. Bleibst du aber so lange, wie es irgend geht, unsichtbar, kann er vor Prozessbeginn die Stimmung nicht weiter gegen dich anheizen. Diesen Vorteil will ich nutzen.«
    Erik war anzusehen, wie er mit sich kämpfte. »Was … was ist das für eine Chance?«
    »Vertraue mir, wir haben eine Chance, wenn du dich mir in allem fügst. Ganz gleich, welche Lügen und Bosheiten gegen dich vorgebracht werden, schweige und überlasse mir das Antworten. So hart es kommen mag, bezähme deinen Jähzorn!« Nach diesen Ratschlägen war Richter Thorbjörn gestern mit Styr, dem Großbauern aus seinem Südbezirk, und Ejolf, dem Gutsherrn vom nah gelegenen Schweinseiland, vorausgeeilt. Die dringlichste Aufgabe der beiden Verbündeten bestand darin, weitere ehrenhafte Männer anzuwerben, die Thorbjörn dann auf ihre Zuverlässigkeit prüfen wollte. Zeugen benötigte Erik, viele Zeugen.
    Aufgeteilt nach den verschiedenen Gerichtsbereichen wohnte der jeweils zuständige Gode während der Thingtage in einer Steinhütte, umgeben von den Zelten seiner

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