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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Überlegen willigte auch der Verteidiger ein. »Ich hoffe zwar immer noch, dass du hier auf dem Thing zu deinem Recht kommst. Dennoch scheint es mir nicht falsch, wenn wir für deine Sicherheit sorgen.«
    Am Opferstein war die Vereidigung der Zeugen abgeschlossen. Der Oberste Richter hob die Stimme: »Wer in diesem Streitfall gegen die Klage Einspruch erheben will, der möge jetzt sprechen oder für immer schweigen.«
    Thorbjörn ging aufrecht zum Gesetzesfelsen.
    Wie die sechs Abtrünnigen noch vor wenigen Augenblicken zog sich auch Tyrkir Schritt für Schritt zurück. Mit beifälligem Gemurmel wurde er von den Zuschauern empfangen. »Klug bist du, kein ehrlicher Isländer darf zu diesem roten Fremden halten.«
    Wie Fausthiebe empfand er das wohlmeinende Schulterklopfen, drängte sich durch den Geruch nach Seehundfett und atmete erst auf, als er die Versammlung verlassen hatte.
    Gut eine Wegstunde auf der Landzunge zurück lag der Seevogel Thorbjörns halb aus dem Wasser gezogen und eingezwängt zwischen vierzehn anderen Schiffen im Hafen. Derweil ihre Herren für eine Woche das Thing besuchten, hatten sich die Besatzungen an Land bequem eingerichtet. Sie hockten in Gruppen um ein großes Feuer, tranken Bier, lachten, schwatzten und brieten Fleischstücke an langen, gespitzten Stöcken.
    Um das Gelage nicht unnötig zu stören, wollte Tyrkir seine Leute durch Pfiffe auf sich aufmerksam machen, jedoch die Lippen versagten den Dienst. Auch das muss ich erst wieder üben, dachte er verärgert, und wer weiß, ob ich je wieder pfeifen kann.
    Unauffällig schlenderte er in die Nähe des Feuers, fand einen Sklaven, der zum Seevogel gehörte, und tippte ihm auf die Schulter. »Befehl von Thorbjörn«, sagte er gedämpft. »Komm sofort zum Schiff! Die andern auch. Aber kein Aufsehen, die Zeit drängt.«
    »Wieso?« Der Sklave würgte einen Bissen herunter. »Gibt es Streit? Ist denn das Friedensgebot …?«
    »Frag nicht, Kerl!«, zischte Tyrkir und wandte ihm ruckartig seine Narbenseite zu. »Gehorche!«
    Der Anblick so dicht vor seinen Augen erschreckte den Knecht. »Ich sag’s weiter. Ja, und unauffällig. Ich hab verstanden.« Er raffte sich hoch, den Bratenrest noch am Stecken, schlurfte er durch die lagernden Gruppen.
    Tyrkir beobachtete ihn eine Weile, sah, wie er einen Kameraden mit dem Fuß anstieß, sich hinunterbeugte und ihm etwas zuflüsterte. Beide feixten, den Umsitzenden musste es vorkommen, als tauschten sie Zoten aus.
    Anerkennend nickte Tyrkir. Der Knecht ging weiter, fand den Nächsten. Nach und nach erhoben sich die Sklaven, einige griffen sich zwischen die Beine, gingen in Richtung Strand, um ihr Wasser abzuschlagen, zwei stützten sich gegenseitig, schwankten wie trunken zum Schiff; ohne Verdacht zu erregen hatten bald alle zehn Sklaven des Goden von der Südseite das Gelage verlassen.
    »Die Sache meines Freundes steht nicht gut.« Der Deutsche sah scharf in die Runde. »Also sorgt, dass ihr den Rausch aus euren Schädeln bekommt. Vielleicht müsst ihr schon bald beweisen, wie viel schneller die Männer vom Warmquellhang sind als all die Säufer da drüben am Feuer.«
    So einfach war es vor seiner Verwundung gewesen, klare Befehle zu geben, jetzt mühte er sich um jedes Wort, schließlich aber hatten die zehn Männer begriffen, worauf es ankam und was von ihnen erwartet wurde. »Euer Herr und mein Freund, auch ich, wir verlassen uns auf euch.«
    Ungewissheit verlängert jeden Weg. Endlich gelangte Tyrkir außer Atem wieder zum Gerichtsplatz: Der Gesetzesfelsen war leer, demnach hatte Thorbjörn seine Verteidigung beendet; die Zuschauer waren erneut bis zur Absperrung vorgetreten und führten halblaute Gespräche mit den Nachbarn, also stand das Urteil noch aus.
    Tyrkir zwängte sich durch die Menge. Nur widerwillig wurde ihm Platz gegeben. Ein muskelbepackter Gutsherr knurrte: »Langsam, Kleiner, sonst reiß ich dir den Kopf ab. Das Beste hast du eh verpasst.« Wie einen Querbalken streckte er den Arm aus. »Wer bist du überhaupt? He, dein Gesicht? Hab ich dich nicht vorhin bei dem Roten gesehen?«
    Ohne Antwort tauchte Tyrkir unter der Muskelschranke her. Direkt vor dem Seil war die Reihe dicht geschlossen. Er suchte, bis er zwischen zwei Schultern freie Sicht auf den geheiligten Platz fand.
    Die zwölf Geschworenen hatten ihre Bänke verlassen und berieten sich etwas abseits mit dem Obersten Richter. Rechts des Altars umstanden die Zeugen den Breidabauern und dessen Fürsprecher, feistes Grinsen

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