Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
in allen Gesichtern, verstohlenes Schulterklopfen.
Auf der anderen Seite wartete Erik mit Thorbjörn und den beiden Gutsherren. Der Freund hatte die Fäuste in die Hüfte gestemmt, das bärtige Kinn gereckt starrte er reglos über die Gaffer hinweg. So stark bist du, mein Wikinger, dachte Tyrkir, doch was nützen hier Stolz und Ehrbarkeit gegen solche Übermacht. Nicht mal eine Hand voll Eideshelfer haben wir anwerben können.
Die Geschworenen kehrten auf ihre Bänke zurück und der Oberste Richter stellte sich vor den Opferstein. Mit geschlossenen Augen verharrte er dort, bis Stille über der Thingstätte lag. Langsam öffnete er die Lider. »Kraft meines Amtes und da es der Wille beider Parteien ist, werde ich nun den Spruch fällen. Klage und Verteidigung sind der Gemeinschaft von ehrenwerten Rednern zur Genüge vorgetragen worden. Nach unseren geheiligten Gesetzen erkenne ich Erik Thorvaldsson, der auch der Rote genannt wird, des feigen Totschlags an Toke und Odd, den Söhnen des Thorgest vom Breidahof, für schuldig.«
Kein beifälliges Gemurmel außerhalb der Gerichtsschranke, keine Regung in der Miene Eriks, auch auf der Seite des Klägers rührte sich niemand. Dieses Urteil war von allen erwartet worden. Nach einer Pause hob der Weise wieder die Stimme: »Zur Strafe und Sühne für seine Tat soll der Mörder eine zweifache Mannbuße an den Geschädigten leisten.«
Der Breidabauer legte dem Goden Ulf Einarsson die Hand auf die Schulter. Zwei Mannbußen, die Aussicht auf zweihundert Mark in Silber befriedigte ihn.
Für einen Augenblick verspürte Tyrkir leise Hoffnung aufsteigen. Sollte das allein die Strafe sein? Er beobachtete, wie Thorbjörn seinen Schützling anstieß. Erik rührte sich nicht.
»Da aber Bauholz und Hausrat des Schuldigen bis auf die Hochsitzbalken noch zu Unrecht in der Scheune des Breidabauern lagern, soll das zweifache Manngeld damit aufgerechnet und abgegolten sein.«
Ein Wutschrei entfuhr Thorgest, mit hartem Griff brachte ihn der Richter aus dem Habichtstal zum Schweigen.
O großer Tyr, beschenkst du meinen Wikinger mit Gnade? Die Hoffnung in Tyrkir wucherte. Neben dem Opferstein bewegte sich Erik zum ersten Mal wieder, nachdenklich kratzte er sich im Bartgeflecht der rechten Wange.
Der Oberste Richter blickte nacheinander die Parteien an, dann wandte er sich an die Versammlung. »Zwar sind die Morde im Habichtstal gesühnt, doch die neuen Totschläge haben den Ruf des heute Verurteilten weiter verdorben. Das Faulige muss herausgeschnitten werden, sonst vergiftet es das ganze Fleisch. Zum Schutz unserer Gemeinschaft und zum Trost des Vaters, der seine Söhne verlor, soll Erik der Rote auf drei Jahre recht- und ehrlos sein. Er kann außer Landes gehen oder muss hier auf Island wie ein Tier mit den Tieren in der Einöde leben. In drei Tagen, von dieser Stunde an gezählt, darf jedermann ihn verfolgen und ohne Strafe erschlagen. Wer ihn jedoch beherbergt, wer ihn nährt oder kleidet, den trifft selbst die Härte des Gesetzes. Nach Abbüßen der Strafe soll Erik Thorvaldsson wieder gereinigt sein und darf als ehrenwerter freier Mann in unsere Gemeinschaft zurückkehren.«
Der Oberste Richter wandte sich an den Roten. »Willst du dich dem Spruch fügen?«
Wie ein Baum, erfasst von einer Sturmböe, bog sich der Riese jäh zurück. Mit der Armbeuge schützte er seine Augen.
Die Zuschauer hielten den Atem an. Jeder Verurteilte musste der Strafe zustimmen und sie selbst vollziehen, denn mit Ausnahme des Klägers gab es niemanden, der auf die Einhaltung achtete. So lautete das Gesetz. Fügte sich der Verurteilte nicht, so konnte seine Tat als unsühnbar erklärt werden und dann wurde ihm gleich hier auf dem Opferstein das Rückgrat gebrochen, wie den Unwürdigen, die Frauen und Mädchen vergewaltigt oder wehrlose Krüppel erschlagen hatten.
»Ich wiederhole meine Frage!« Der Ton des Obersten Richters nahm an Härte zu. »Fügst du dich dem Spruch?«
Erik ließ den Arm sinken. Sein Gesicht war tränennass, doch Feuer loderte in den gelbbraunen Augen. »Weil ich es muss, will ich, Erik Thorvaldsson, mich dem Urteil des Thinggerichtes beugen. Für drei Jahre werde ich meine Rache in mir begraben. Doch vergessen …« Über die Schulter blickte er hinauf zum Gesetzesfelsen, mehr für sich selbst ergänzte er: »Das Unrecht ist mir, nicht meinem Gegner geschehen.«
Ehe der Weise darauf eingehen konnte, flüsterte Thorbjörn hastig: »Still! Der Spruch gilt. Sag kein Wort mehr, ehe
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