Erinnerung an meine traurigen Huren
Verdachts, keine Zeit mehr für Irrtümer zu haben. Das achte war beängstigend, weil die Möglichkeit bestand, dass es das letzte war. Als ich aber am ersten Morgen meiner neunzig Jahre in Delgadinas glücklichem Bett erwachte, ging mir der wohltuende Gedanke durch den Kopf, das Leben sei nicht der unruhige Fluss, den Heraklit beschreibt, sondern eine einzigartige Gelegenheit, sich auf dem Rost umzudrehen und neunzig weitere Jahre auf der anderen Seite zu braten.
Auf einmal hatte ich nahe am Wasser gebaut. Bei jedwedem Gefühl, das etwas mit Zärtlichkeit zu tun hatte, spürte ich einen Kloß im Hals, mit dem ich nicht immer fertig wurde, und ich wollte schon den einsamen Genuss, über Delgadinas Schlaf zu wachen, aufgeben, nicht so sehr wegen der Ungewissheit meiner Sterbestunde als wegen des Schmerzes, mir vorstellen zu müssen, wie sie den Rest ihres Lebens ohne mich verbrachte. An einem jener zerstreuten Tage gelangte ich zufällig in die noble Calle de los Notarios und war sehr überrascht, dort nur die Ruinen des alten Stundenhotels zu finden, in dem ich kurz vor meinem zwölften Geburtstag gewaltsam in die Liebeskunst eingeführt worden war. Es war das ehemalige Palais einer Reederfamilie, prächtig wie wenige in der Stadt, es hatte mit Alabaster verkleidete Säulen und vergoldete Friese und eine siebenfarbige Glaskuppel über dem Innenhof, der wie ein Gewächshaus im Licht erglänzte. Über ein Jahrhundert lang hatten im Erdgeschoss hinter gotischen Arkaden die Notare der Kolonie residiert, dort hatte auch mein Vater gearbeitet, es zu etwas gebracht und fast alles wieder verloren in einem ganzen Leben phantastischer Träumereien. Die alteingesessenen Familien verließen nach und nach die oberen Stockwerke, und diese wurden schließlich von einer Legion ins Unglück geratener Nachtschwalben besetzt; bis zum Morgengrauen stiegen diese treppauf und treppab mit den Kunden, die ihnen in den Kaschemmen am nahen Flusshafen für anderthalb Pesos ins Netz gegangen waren.
Mit zwölf, ich trug noch kurze Hosen und die Schnürstiefel der Grundschule, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, die oberen Stockwerke kennen zu lernen, dieweil mein Vater sich in einer seiner endlosen Besprechungen erging, und dort bot sich mir ein himmlisches Schauspiel. Die Frauen, die bis zum Morgengrauen ihren Körper verschachert hatten, bewegten sich ab elf, wenn die Gluthitze unter der Glaskuppel schon unerträglich wurde, nackt durch die Räume und erledigten ihre häuslichen Arbeiten, während sie sich schreiend über die Abenteuer der Nacht austauschten. Ich geriet in Panik. Mir fiel nichts anderes ein, als dorthin zu fliehen, woher ich gekommen war, da umfing mich von hinten eine der stämmigen Nackten, deren Fleisch nach Kräuterseife roch, hob mich hoch und trug mich zu ihrer Pappkammer, ohne dass ich sie inmitten des Geschreis und des Applauses der unbekleideten Mieterinnen sehen konnte. Sie warf mich auf ihr überbreites Bett, zog mir mit einem fachkundigen Griff die Hose aus und stieg auf mich, doch der eisige Schrecken, der meine Haut mit Schweiß überzog, hinderte mich daran, sie wie ein Mann zu empfangen. Nachts konnte ich ob der Peinlichkeit des Überfalls und in dem Verlangen, sie wiederzusehen, kaum eine Stunde schlafen. Am nächsten Morgen dann, als die Übernächtigten noch schliefen, stieg ich zitternd zur Kammer dieser Frau hoch, weckte sie laut heulend vor wahnsinniger Liebe, die so lange dauerte, bis sie vom Sturmwind des wirklichen Lebens erbarmungslos hinweggefegt wurde. Die Frau hieß Castorina und war die Königin des Hauses.
Die Kammern des Hotels kosteten einen Peso für ein schnelles Liebesgeschäft, und nur wenigen war bekannt, dass sie für vierundzwanzig Stunden das Gleiche kosteten. Castorina führte mich in ihre abseitige Welt ein: Die Frauen luden arme Freier zu ihren Galafrühstücken ein, liehen ihnen Seife, versorgten sie bei Zahnschmerzen, und in dringlichen Fällen erwiesen sie ihnen auch barmherzige Liebesdienste.
Doch an meinem Lebensabend erinnerte sich schon keiner mehr an die unsterbliche Castorina, die wer weiß wann gestorben war, eine Frau, die von den erbärmlichen Ecken am Kai zum heiligen Thron der Großen Puffmutter aufgestiegen war, eine Piratenklappe über dem bei einer Kneipenschlägerei verlorenen Auge. Ihr letzter angestellter Liebhaber, ein glücklicher Neger aus Camagüey, der Jonas der Galeerensklave genannt wurde, war einer der großen Trompetenspieler in Havanna
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