Erinnerung an meine traurigen Huren
Schreibtisch und drückte mir die Hand, duzte mich dabei mit der Herzlichkeit eines langjährigen Freundes. Wir haben zusammen Abitur gemacht, sagte er zum Gruß. Es war leicht, sich an ihn zu erinnern: Er war der beste Fußballspieler der Schule und Champion bei unseren ersten Bordellbesuchen gewesen. Irgendwann hatten sich unsere Wege getrennt, und er hielt mich wohl nur deshalb für einen Mitschüler aus seiner Kindheit, weil ich so hinfällig wirkte.
Auf der Glasplatte des Schreibtischs lag geöffnet einer der Wälzer aus dem Archiv, in dem der Schmuck meiner Mutter verzeichnet war. Dort stand auch, mit Datum und Details, ein genauer Bericht darüber, dass sie selbst die Edelsteine von zwei Generationen schöner und würdiger Cargamantos hatte auswechseln lassen und an eben dieses Geschäft verkauft hatte. Das war zu der Zeit geschehen, als der Vater des jetzigen Besitzers das Juweliergeschäft führte und er und ich zur Schule gingen. Doch er beruhigte mich: Solche Tricks waren gang und gäbe, wenn reiche Familien in Geldschwierigkeiten kamen, man rettete sich so ohne Ehrverlust aus einer peinlichen Situation. Angesichts dieser kruden Realität zog ich vor, den Schmuck zu behalten, als Erinnerung an eine andere Florina de Dios, die ich nie kennen gelernt hatte.
Anfang Juli konnte ich die Nähe des Todes genau ermessen. Mein Herz kam aus dem Tritt, und überall begann ich untrügliche Vorzeichen des Endes zu sehen und zu spüren. Das deutlichste stellte sich bei einem Konzert im Bellas Artes ein. Die Klimaanlage war ausgefallen, und die Creme von Literatur und Kunst wurde in dem überfüllten Raum langsam im Wasserbad gesotten, doch die Magie der Musik war ein himmlisches Klima für sich. Am Ende, beim Allegretto poco mosso, schauderte es mich ob der überwältigenden Offenbarung, gerade das letzte Konzert zu hören, das mir das Schicksal noch vor dem Tod beschieden hatte. Ich verspürte weder Schmerz noch Angst, war nur hingerissen, dies erleben zu können.
Als ich mir endlich schweißnass einen Weg durch die Umarmungen und Blitzlichter bahnen konnte, stieß ich unverhofft mit Ximena Ortiz zusammen, die wie eine hundertjährige Göttin im Rollstuhl saß. Ihre bloße Gegenwart überwältigte mich wie eine Todsünde. Sie trug ein Kleid aus elfenbeinfarbener Seide, die so glatt war wie ihre Haut, eine dreifache Perlenschnur um den Hals und ihr perlmuttenes Haar war nach der Mode der Zwanziger geschnitten, mit der Spitze eines Möwenflügels auf der Wange, und aus dem natürlichen Schatten der Augenhöhlen leuchteten ihre großen gelben Augen. Alles an ihr strafte das Gerücht Lügen, sie sei schwer beeinträchtigt durch den unaufhaltsamen Abbau des Gedächtnisses. Versteinert und ihr gegenüberwehrlos, missachtete ich die feurige Röte, die mir ins Gesicht stieg, und grüßte sie schweigend mit einer höfischen Verbeugung. Sie lächelte wie eine Königin und griff nach meiner Hand. Da merkte ich, dass auch dies ein Wink des Schicksals war, und ich folgte ihm, um mich von einem Dorn zu befreien, der mich schon immer geplagt hatte. Jahrelang habe ich von diesem Augenblick geträumt, sagte ich zu ihr. Sie schien nicht zu begreifen. Nein, so was!, sagte sie. Und wer bist du? Ich erfuhr nie, ob sie es wirklich vergessen hatte oder ob das die letzte Rache ihres Lebens war.
Die Gewissheit, sterblich zu sein, hatte mich allerdings schon kurz vor meinem fünfzigsten Geburtstag bei einer ähnlichen Gelegenheit ereilt, einer Karnevalsnacht, in der ich einen wilden Tango mit einer unglaublichen Frau tanzte, deren Gesicht ich nie zu sehen bekam, sie war etwa vierzig Pfund schwerer und zwei Handbreit größer als ich, ließ sich aber führen wie eine Feder im Wind. Wir tanzten so eng, dass ich spürte, wie ihr das Blut durch die Adern strömte, und ihr mühsames Atmen, ihr Ammoniakgeruch und ihre astronomischen Brüste hatten mich schläfrig vor Wohlbehagen gemacht, als mich zum ersten Mal das Rasseln des Todes erreichte und fast zu Boden zwang. Es war wie ein grausames Orakel im Ohr: Was du auch tust, in diesem Jahr oder in hundert Jahren wirst du für immer tot sein. Sie löste sich erschreckt von mir: Was haben Sie? Nichts, sagte ich und versuchte mein Herz zu bändigen:
»Ich zittere Ihretwegen.«
Von da an zählte ich das Leben nicht nach Jahren, sondern nach Jahrzehnten. Das sechste war entscheidend, weil mir damals bewusst wurde, dass fast alle jünger waren als ich. Das siebte war das intensivste, wegen des
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