Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erinnerung an meine traurigen Huren

Erinnerung an meine traurigen Huren

Titel: Erinnerung an meine traurigen Huren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
Vom Netzwerk:
wäre, dann wäre sie hier. Wo sonst könnte sie es besser haben? Diese schnelle Logik verstärkte nur meinen Argwohn: Und woher weiß ich, dass sie nicht da ist? In diesem Fall, entgegnete Rosa Cabarcas, wäre es das Beste für dich, es nicht zu wissen. Oder etwa nicht? Und wieder hasste ich sie. Sie ließ sich nicht aus der Fassung bringen und versprach, nach dem Mädchen zu forschen. Allerdings ohne große Hoffnung, denn das Telefon der Nachbarin, wo sie die Kleine zu erreichen pflegte, war immer noch abgestellt, und Rosa hatte nicht die geringste Ahnung, wo sie wohnte. Aber deshalb müsse man nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, was soll's, sagte sie, in einer Stunde rufe ich dich an.
    Es war eine Stunde, die drei Tage dauerte, aber Rosa trieb die Kleine auf, die verfügbar und gesund war. Beschämt kehrte ich zu ihr zurück, und zur Sühne küsste ich sie von Kopf bis Fuß, von zwölf Uhr nachts bis zum ersten Hahnenschrei. Ein langes Flehen um Verzeihung, das ich bis in alle Ewigkeit zu wiederholen gelobte, und es war, als finge alles noch einmal von neuem an. Das Zimmer war verwahrlost, und all das, was ich einst angeschleppt hatte, war durch unachtsamen Gebrauch ruiniert. Rosa Cabarcas hatte es so gelassen und sagte mir, jede Verbesserung gehe zu meinen Lasten, denn ich schulde ihr ja noch einiges. Ich war jedoch finanziell am Ende. Die Pensionsgelder reichten hinten und vorne nicht. Die paar verkaufbaren Gegenstände, die noch im Haus waren - mit Ausnahme der heiligen Schmuck-stücke meiner Mutter - hatten keinen Marktwert, und nichts war alt genug, um als Antiquität durchzugehen. In besseren Zeiten hatte der Gouverneur mir das verführerische Angebot gemacht, die Bücher der griechischen, römischen und spanischen Klassiker en bloc für die Bezirksbibliothek aufzukaufen, aber ich hatte es nicht übers Herz gebracht, sie wegzugeben. Nun, nach dem politischen Wandel und dem allgemeinen Verfall, dachte keiner in der Regierung mehr an Kunst und Literatur. Müde davon, nach einer ehrbaren Lösung zu suchen, steckte ich den Schmuck, den Delgadina mir zurückgegeben hatte, in die Tasche und ging zu einem Pfandhaus in einer düsteren Gasse, die zum Marktplatz führte. Ich gab mich als zerstreuter Gelehrter und durchschritt ein paarmal dieses üble Viertel, in dem sich erbärmliche Kaschemmen, Gebrauchtwarenläden und Pfandhäuser drängten, doch die Würde von Florina de Dios stand mir im Weg: Ich traute mich nicht. Daraufhin beschloss ich, den Schmuck erhobenen Hauptes beim ältesten und renommiertesten Juwelier zu verkaufen.
    Der Angestellte stellte mir ein paar Fragen, während er den Schmuck mit der Lupe untersuchte. Er trat auf wie ein Arzt und flößte Angst ein. Ich erklärte ihm, es seien Erbstücke von meiner Mutter. Mit einem Knurren bestätigte er jede meiner Erläuterungen und legte endlich die Lupe nieder.
    »Ich bedaure«, sagte er, »aber es handelt sich um Flaschenglas.«
    Angesichts meiner Verblüffung beschwichtigte er mich mit sanftem Erbarmen: Nur gut, dass das Gold wirklich Gold und das Platin Platin ist. Ich tastete nach meiner Brusttasche, um mich zu vergewissern, dass ich die Rechnungen dabeihatte, und sagte ohne Bedenken:
    »Nun, alles wurde in diesem noblen Haus vor mehr als hundert Jahren gekauft.«
    Er blieb gelassen. Es kommt mitunter vor, sagte er, dass bei ererbten Schmuckstücken im Laufe der Zeit die kostbarsten Steine verschwinden; sie werden von schwarzen Schafen der Familie oder von fragwürdigen Juwelieren ausgetauscht, und erst wenn jemand den Schmuck verkaufen will, kommt der Betrug ans Licht. Aber geben Sie mir einen Augenblick Zeit, sagte er und verschwand mit dem Schmuck durch die Hintertür. Kurz darauf kam er zurück und bedeutete mir ohne weitere Erklärung, auf einem Sessel Platz zu nehmen und zu warten; sodann ging er weiter seiner Arbeit nach.
    Ich musterte das Geschäft. Ich war mit meiner Mutter öfter hier gewesen und erinnerte mich an einen wiederkehrenden Satz: Sag deinem Papa nichts davon. Plötzlich kam mir ein Gedanke, der mich aufbrachte: Konnte es nicht sein, dass Rosa Cabarcas und Delgadina in schönem Einverständnis die Edelsteine verkauft und mir den Schmuck mit falschen Steinen zurückgegeben hatten?
    Ich brannte vor Argwohn, als mich eine Sekretärin aufforderte, ihr durch die Hintertür zu folgen. Sie führte mich in ein kleines Büro mit einem großen Regal voll dickleibiger Bände. Ein grobschlächtiger alter Mann erhob sich hinter dem

Weitere Kostenlose Bücher