Erinnerung Des Herzens
habe.«
Er schlug ihr so fest auf die Schulter, dass Paul schon aufspringen wollte, aber Eve winkte ab. »Gefährlicher Boden, Eve.« Kincade rang nach Luft. »Du bist zu alt, um noch Risiken einzugehen.«
Eve verbesserte ihn: »Ich bin zu alt, um sie nicht einzugehen. Beruhige dich, Tony. Ich habe nicht die Absicht, Julia ein einziges Wort schreiben zu lassen, das nicht die lautere Wahrheit ist.« Obwohl ihr klar war, dass ihre Schulter am nächsten Morgen weh tun würde, hob sie ihr Glas. »Eine vernünftige Dosis Ehrlichkeit kann niemanden verletzen, der es nicht verdient hat.«
»Lüge oder Wahrheit«, murmelte er. »Es ist eine alte Tradition, den Überbringer zu töten.« Mit diesen Worten verließ er sie und bahnte sich seinen Weg durch die Menge.
»Mein Gott, was für ein ekelhafter Kerl.« Eve kippte den Champagner herunter und zog eine Grimasse, als ihr Blick auf den Dessertteller fiel. Dieser Besucher hatte ihr den Appetit verdorben. »Kaum zu glauben, dass er vor dreißig Jahren ein vitaler, interessanter Mann war.« Als sie Julia anschaute, musste sie lachen. »Mein liebes Kind, ich kann förmlich sehen, wie Sie bereits angefangen haben zu arbeiten.« Sie streichelte ihre Hand. »Wir werden über Tony reden«, versprach sie. »Und zwar schon bald.«
In Gedanken versunken saß Julia schweigend da und nahm ihre Umgebung kaum noch wahr. Anthony Kincade war nicht ärgerlich darüber gewesen, dass Eve Privatgeheimnisse aus ihrer Ehe preisgeben würde. Er war wütend gewesen, und er hatte Drohungen ausgestoßen. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass Eve diese Reaktion außerordentlich gefallen hatte.
Vielsagend waren auch die Reaktionen der Männer an ihrem Tisch gewesen. Paul war bereit gewesen, Kincade an seinem schwammigen Genick zu packen und wegzuschleppen, ungeachtet seines Alters und seines offensichtlich desolaten Gesundheitszustandes. Dieses Aufblitzen von Gewalttätigkeit war echt gewesen und sehr schockierend bei einem Mann, der aus einem Tulpenglas Champagner trank und einen Smoking trug.
Drake hatte die Szene in allen Einzelheiten beobachtet. Und er hatte dabei gelächelt. Julia hatte den Eindruck gehabt, dass er auch sitzengeblieben wäre und gelächelt hätte, wenn Kincade Eve mit seinen Beefsteakhänden gewürgt hätte.
»Sie machen sich zu viele Gedanken.«
Julia zuckte leicht zusammen, dann sah sie Paul an. »Was?«
»Sie machen sich zu viele Gedanken«, wiederholte er. »Kommen Sie, wir wollen tanzen.« Er stand auf und zog sie hoch. »Man hat mir gesagt, dass es einer Frau schwerfällt zu denken, wenn ich meine Arme um sie lege.«
»Wie bringen Sie es fertig, dieses Ego in Ihrem Smoking unterzubringen, ohne dass es herausschaut?«
Er gesellte sich zu anderen Paaren auf der Tanzfläche, dann zog er Julia eng an sich. »Übung«, sagte er. »Jahrelange Übung.« Er lächelte ihr zu. Ihr Rückenausschnitt faszinierte ihn. Er war tief genug, dass er mit der Hand hineinschlüpfen und ihre Haut streicheln konnte. »Sie nehmen sich zu ernst. Wenn Sie sich im Traumland befinden, sollten Sie sich einfach treiben lassen.«
Sie wusste nicht, wie sie ihm beibringen sollte, damit aufzuhören, mit seinen Fingern über ihren Rücken zu streichen. Und sie wusste nicht, was sie gegen den Aufruhr in ihrem Körper tun sollte, den er damit verursachte.
Sie wusste, was es bedeutet, jemanden zu begehren. Und sie wollte es nicht noch einmal erleben.
»Warum bleiben Sie hier?« fragte sie. »Sie könnten an Ihre Arbeit zurückkehren.«
»Gewohnheit.« Er warf über ihre Schulter einen Blick zu ihrem Tisch hinüber. »Eve.« Als sie wieder etwas sagen wollte, schüttelte er den Kopf. »Noch mehr Fragen. Ich muss irgend etwas falsch machen, da Sie noch immer denken.« Er zog sie so eng an sich, dass sie den Kopf zur Seite wenden musste, um seinem Mund auszuweichen. »Sie rufen eine Impression in mir wach: Ein Fünf-Uhr-Tee auf der Terrasse eines englischen Landsitzes.«
»Wieso?«
»Ihr Duft.« Seine Lippen spielten mit ihrem Ohrläppchen. »Erotisch, ätherisch, romantisch.«
»Einbildung«, flüsterte sie, aber ihre Augen schlössen sich. »Ich bin nichts davon.«
»Richtig. Sie sind eine schwerarbeitende, alleinerziehende Mutter und praktisch veranlagt. Warum haben Sie bei Brown Lyrik studiert?«
»Weil es mir Spaß gemacht hat.« Sie ertappte sich dabei, dass ihre Finger in seinem Haar spielen wollten. »Lyrik ist sehr streng aufgebaut.«
»Einbildungskraft, Gefühl und Romantik.« Er schob
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