Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
allen ihren Ehrendamen erwies. Deshalb, fuhr die Gräfin fort, sei sie auch nicht bei der Hochzeitsfeier erschienen. Da Madame Schuwaloff die erste war, die mit mir von dieser Krankheit sprach, bezeigte ich ihr den Schmerz, welchen der Zustand der Kaiserin mir verursacht, und den Anteil, den ich daran genommen habe. Sie erwiderte, Ihre Majestät werde mit Genugtuung hören, wie ich in dieser Beziehung dachte. Zwei Tage später kam Madame Tschoglokoff des Morgens in mein Zimmer und sagte mir in Gegenwart von Madame Wladislawa, die Kaiserin sei sehr aufgebracht gegen den Großfürstenund mich wegen des geringen Interesses, das wir an ihrer Krankheit genommen. Wir wären sogar so weit gegangen, daß wir nicht ein einzigesmal hätten fragen lassen, wie sie sich befinde. Ich erwiderte Madame Tschoglokoff, in dieser Hinsicht könne ich mich nur an sie selbst halten, denn weder sie noch ihr Gemahl hätten uns auch nur ein Wort von dieser Krankheit gesagt. Da wir nichts davon gewußt, hätten wir auch den Anteil, den wir daran nehmen, nicht bezeigen können. Sie antwortete entrüstet: »Wie können Sie sagen, daß Sie nichts davon gewußt haben? Gräfin Schuwaloff hat Ihrer Majestät gesagt, daß sie bei der Tafel mit ihr von der Krankheit gesprochen haben.« »Das ist allerdings wahr,« erwiderte ich, »aber nur, weil sie mir sagte, Ihre Majestät sei noch zu schwach, um auszugehen, und bei dieser Gelegenheit habe ich sie nach den Einzelheiten der Krankheit gefragt.« Darauf entfernte sich Madame Tschoglokoff verdrießlich, und Madame Wladislawa meinte, es sei sehr merkwürdig, Streit mit einem Menschen anzufangen über eine Sache, von der er nichts wüßte. Da übrigens die Tschoglokoffs allein das Recht hätten, davon zu sprechen, so sei es doch ihre Schuld, daß sie kein Wort darüber erwähnt, und nicht die unsrige, wenn wir aus Unwissenheit gefehlt hätten. Kurze Zeit nachher fand ich Gelegenheit, der Kaiserin während einer Vorstellung bei Hofe zu sagen, daß weder Tschoglokoff noch seine Frau uns von ihrer Krankheit benachrichtigt hätten und wir aus diesem Grunde nicht imstande gewesen wären, ihr unsere Teilnahme zu beweisen. Sie nahm meine Worte sehr freundschaftlich auf, und fast schien es mir, als wenn der Einfluß jener Menschen im Abnehmen begriffen sei.
In der ersten Woche der Fasten wollte Tschoglokoff zum Abendmahle gehen. Er beichtete, aber der Beichtvater der Kaiserin verbot ihm, das Abendmahl zu nehmen. Der ganzeHof behauptete, dies geschehe nur auf Befehl Ihrer kaiserlichen Majestät, wegen seines Abenteuers mit Fräulein Kocheleff. Uebrigens schien Tschoglokoff während des größten Teiles unseres Aufenthaltes in Moskau sehr intim mit dem Kanzler Grafen Bestuscheff und dem General Stephan Apraxin zu sein, der jenem mit Leib und Seele ergeben war. Er befand sich fortwährend in ihrer Gesellschaft, und wenn man ihn reden hörte, hätte man meinen können, er sei Graf Bestuscheffs geheimer Rat. In Wahrheit aber konnte er dies nicht sein, weil Bestuscheff zu viel Geist besaß, als daß er sich von einem so anmaßenden Narren wie Tschoglokoff hätte raten lassen. Etwa um die Mitte unseres Aufenthaltes in Moskau indes hörte diese große Vertraulichkeit aus irgend welchem mir unbekannten Grunde plötzlich auf, und Tschoglokoff wurde der geschworene Feind derer, mit denen er kurz zuvor in intimstem Verkehr gestanden hatte.
Kurz nach meiner Ankunft in Moskau fing ich aus Langeweile an, die Geschichte Deutschlands vom Pater Barre, Kanonikus von St. Geneviève, in neun Quartbänden zu lesen. Alle acht Tage beendigte ich einen Band, worauf ich Platos Werke begann. Meine Zimmer waren nach der Straße zu gelegen, während das Hintergebäude, dessen Fenster auf einen kleinen Hof führten, vom Großfürsten bewohnt wurde. Wenn ich in meinem Zimmer las, kam gewöhnlich ein Kammermädchen herein und stand so lange es ihr gefiel im Zimmer, dann nahm eine andere ihren Platz ein, wenn sie es für passend fand. Da dies mir aber nur unbequem war, und ich überdies durch die Nähe der Gemächer des Großfürsten und von dem, was dort vorging, viel zu leiden hatte, ließ ich Madame Wladislawa meine Unzufriedenheit merken. Sie selbst litt in der Tat ebensoviel darunter als ich, denn sie bewohnte am Ende meiner Gemächer ein kleines Kabinett. Sie verstand sich denn auch bereitwilligstdazu, die Kammermädchen von jener Art von Etikette zu entbinden. Was wir aber sonst im Laufe des Tages zu erdulden hatten, war schrecklich.
Weitere Kostenlose Bücher