Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erinnerungen der Nacht

Erinnerungen der Nacht

Titel: Erinnerungen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MAGGIE SHAYNE
Vom Netzwerk:
ich ihm entkommen. Wenn wir diese Anlage verlassen hatten, würde ich fliehen. Ich musste es – für meine Tochter. Und für mich.
    Er führte mich zu dem hohen Maschendrahtzaun, der elektrisch gesichert war und dieses Gefängnis umgab. Als ich daran hinaufsah, sank meine Hoffnung auf eine Flucht drastisch. „Was jetzt?“, flüsterte ich und sah ihn an.
    Meine Frage schien ihn zu verwirren. Er nahm mir einfach die Haube ab, zog mir die Maske vom Gesicht und warf sie achtlos zu Boden. „Jetzt“, sagte er, „springen wir rüber.“
    Sollte das ein Witz sein? War er tatsächlich zu dieser Stunde zu Späßen aufgelegt? Ich sah zum Zaun, dann wieder zu ihm und schüttelte langsam den Kopf. „Das ist unmöglich.“
    „Du hast keine Ahnung, wie stark du bist, was?“
    Natürlich nicht. Aber mir schien, als wäre es ein schwerer Fehler, das vor ihm zuzugeben.
    „Wie lange ist es her, seit du verwandelt worden bist, Angelica?“
    Ich zuckte mit den Schultern, wandte mich wieder dem Zaun zu und ignorierte seine Frage einfach.
    „Leg mir den Arm um die Schultern“, forderte er mich auf, und ich gehorchte, obwohl ich immer noch zweifelte. Er legte mir den kräftigen Arm um die Taille und drückte mit den Fingern gegen meinen Bauch, als er mich fest an seine Seite zog. Das Verlangen nach ihm stellte sich schlagartig wieder ein. Was war das für ein Wahnsinn?
    Dann winkelte er die Knie an und zog mich mit sich nach unten. „Jetzt … spring!“
    Er stieß sich ab und ich ebenfalls, obwohl ich beinahe lachen musste, so komisch kam ich mir vor. Ich rechnete damit, dass wir vielleicht vierzig, fünfzig Zentimeter hochspringen und dann wieder an derselben Stelle landen würden, wo wir gestanden hatten. Darum war ich vollkommen unvorbereitet auf den Flug, der mir bevorstand. Wir schossen wie zwei Raketen in den Nachthimmel. Der Maschendraht sauste verschwommen an mir vorbei, dann befanden wir uns ein gutes Stück darüber. Mein Haar wehte nach oben, der Nachtwind rauschte mir in den Ohren. Ich blickte nach unten, sah den Boden mit atemberaubender Geschwindigkeit auf uns zukommen, klammerte mich an Jameson fest und konnte vor Angst nicht mehr nach unten sehen. Er legte seinen freien Arm um mich und drückte mich wie ein Kind. Wir stürzten ab, und ich fürchtete, dass ich mir bei der Landung die schlimmsten Verletzungen zuziehen würde.
    Stattdessen landete ich mit den Füßen auf dem Boden und beugte die Knie. Mein Körper federte den Aufprall ohne Schmerzen ab. Ich stolperte, fiel auf die Kehrseite und musste dabei Jameson loslassen, was mich zu gleichen Teilen mit Erleichterung und Enttäuschung erfüllte. Ich erinnere mich, wie ungeschickt ich mich fühlte, als ich sah, wie anmutig er landete, in die Hocke ging und wieder hochsprang, ohne auch nur einmal zu wanken. Und dann drehte er sich zu mir um, streckte die Arme nach mir aus, zog mich auf die Füße.
    Ich sah fassungslos zu dem Zaun, den wir gerade so mühelos überwunden hatten. Ich konnte es nicht glauben …
    „Du hattest keine Ahnung, Angelica, oder?“
    Benommen schüttelte ich den Kopf.
    „Wer hat dich verwandelt?“, fragte er und sah mir fragend ins Gesicht. „Was für ein Vampir würde dich verwandeln und dann im Stich lassen?“
    Trotzig blickte ich ihm in die dunklen Augen. „Du fragst Sachen, die dich nichts angehen.“
    Er blinzelte, nickte aber schließlich und wartete nicht mehr auf eine Antwort. Offenbar wurde ihm klar, dass er keine bekam. Er nahm meinen Arm und führte mich auf dem Parkplatz zu einem kleinen schwarzen Sportwagen, der dort wie ein Dieb in der Nacht zu warten schien. In den Schatten konnte man ihn fast nicht erkennen.
    Er öffnete die Tür, ich sank auf den Beifahrersitz, der mir so tief vorkam, als säße ich direkt auf der Straße. Dann schlug er die Tür zu, entfernte sich, stieg auf der anderen Seite ein und setzte sich ans Steuer. Er ließ den Motor an, und wir fuhren tatsächlich unbemerkt davon. Und als der Ort, der um ein Haar zur tödlichen Falle für mich geworden wäre, schließlich hinter uns lag, wandte ich mich an Jameson. „Wie wollen wir unser Kind finden?“, flüsterte ich. „Wo fangen wir an?“
    Unsere Blicke trafen sich, seine Augen schienen im orangeroten Licht des Armaturenbretts zu brennen. „Wir fangen damit an, dass wir herausfinden, welcher von ihnen etwas über unsere Tochter weiß“, sagte er. Ich sah den Hass auf meine einstigen Häscher – seine einstigen Häscher, wenn seine Geschichte stimmte

Weitere Kostenlose Bücher