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Erinnerungen der Nacht

Erinnerungen der Nacht

Titel: Erinnerungen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MAGGIE SHAYNE
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sich um einen Turm aus grauen Steinquadern, überwiegend mit Efeu bewachsen. Dicke Balken waren über die enorme Eingangstür genagelt. Das schmiedeeiserne Geländer war zerbrochen und beugte sich über die rissigen Steinstufen wie ein alter Mann auf einer Krücke. Unter jedem der hohen, schmalen Fenster befand sich ein Wasserfleck, was den garstigen Eindruck erweckte, als hätte das Haus geweint. Ich erschauerte bei dem Gedanken. Hinter dem Haus fiel eine Felsklippe fast senkrecht bis zum Meer ab. In der Ferne sah ich das schwarze tosende Wasser und hörte die Brecher an die Felsenküste donnern.
    Und immer noch fuhr Jameson mit dem kleinen schwarzen Auto weiter. Er bog von der Einfahrt ab durch das Gebüsch, und da schien es, als hätte sich ein Weg aufgetan, wo vorher keiner gewesen war. Wir fuhren tief in einen Tunnel aus Hecken und Sträuchern, der so dicht war, dass man weder nach draußen noch hineinschauen konnte. Genial.
    Und dann stellte Jameson den Motor ab. Den Schlüssel ließ er jedoch stecken. Im Falle einer hastigen Flucht, überlegte ich. „Jetzt“, sagte er und sah mich in der Dunkelheit an, wo ich für ihn und seine samtbraunen gestreiften Tigeraugen so deutlich erkennbar sein musste wie er für mich, „kannst du aussteigen.“
    Ich schäumte innerlich vor Wut, dass ich diesem Mann gehorchen musste, doch blieb mir kaum eine andere Wahl. Ich öffnete die Autotür und stieg aus. Er stand so schnell neben mir, dass ich einen kurzen Aufschrei der Überraschung nicht unterdrücken konnte. Wieder hielt er mich am Handgelenk fest. Ich betrachtete seine kräftige Pranke und wusste, er hätte mir das Handgelenk so mühelos brechen können wie einen trockenen Zweig. Im selben Moment wurde mir bewusst, dass er mir nicht einmal wehgetan hatte. Er hätte es tun können und hätte es bei mehr als einer Gelegenheit vielleicht nur zu gern getan, dennoch war er sehr fürsorglich mit mir umgegangen. Wenn er es für geboten hielt, mich festzuhalten, dann hielt er mich mit festem, unerschütterlichem Griff. Einem unentrinnbaren. Aber keinem schmerzhaften.
    Ich dachte an die furchtbare Grausamkeit des Vampirs, der mich in der Gasse überfallen hatte. Der mir wehgetan hatte, immer wieder, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden.
    Freilich wäre es ein Fehler gewesen, die beiden für so unterschiedlich zu halten. Sie waren beide gleich, beide verflucht, beide Monster, Dämonen, Diener von Satan persönlich. Von seiner trügerischen Sanftmut würde ich mich nicht täuschen lassen. Ich musste ihm entkommen. Und das würde ich.
    Er führte mich noch tiefer in den Tunnel aus Gestrüpp bis zu einer regelrechten Mauer aus Ästen und Zweigen am Rande. Er schob einige Äste beiseite, ging weiter, abwärts, und zog mich mit sich.
    Eine Treppe … die spiralförmig in die Erde selbst hinabführte. Einen Moment stellte ich mir vor, dass mich am unteren Ende das Höllenfeuer erwartete, und widersetzte mich.
    Da drehte er sich mit zusammengekniffenen Augen zu mir um. „Schon gut, Angelica. Du musst hier keine Angst haben. Ich weiß, das alles wirkt absurd, aber glaub mir, es ist erforderlich. Für unsere Sicherheit. Komm jetzt.“
    Ich unterdrückte meine Furcht und folgte ihm ins Innere der Erde und durch einen langen unterirdischen Tunnel. Schließlich ließen wir ihn hinter uns und betraten durch eine massive Tür einen größeren Raum … und ich war vollkommen fassungslos.
    Damit hatte ich ganz und gar nicht gerechnet. Mit einem gruftähnlichen Verlies, ja. Aber nicht damit.
    Der Raum war groß und wunderschön eingerichtet. Ein offener Kamin am anderen Ende, Anfeuerholz daneben. Daneben ein Stapel duftenden Kirschholzes. Die Wände waren in einem altrosa Ton gestrichen und von Gemälden gesäumt. Bezaubernde Bilder, und mir fiel gleich auf, dass verschiedene Landschaften und Meere sonnendurchflutet anmuteten. Perserteppiche lagen auf dem Boden, in einer Ecke stand ein samtbezogenes Sofa mit Kissen und Überwurfdecken. In einer anderen ein antiker Schaukelstuhl aus Kirschholz. In einer dritten ein Marmortisch, voll beladen mit Kunstgegenständen. Überall Petroleumlampen und Türen. Mehr Türen als die, durch die wir eingetreten waren.
    Er schloss die enorme Tür hinter uns, und da bemerkte ich zum ersten Mal die digitale Anzeige daneben. Er drückte einige Knöpfe, ein rotes Licht ging an. Also stimmte es, was er sagte. Ich saß hier drinnen in der Falle.
    „Du siehst“, sagte er und drehte sich wieder zu mir um,

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