Erinnerungen der Nacht
welche Wirkung diese Worte auf seine innere Ruhe hatten. Genäht. Das beschwor das Bild herauf, wie ein spitzer Gegenstand ihre empfindliche Haut durchbohrte, ein Gegenstand, den er in der Hand hielt. Die Schmerzen wären unerträglich.
Frederick schaute auf und schüttelte den Kopf. „Es hört nicht auf zu bluten.“
Roland schluckte heftig. Frederick war Armeearzt gewesen, ehe seine Geisteskrankheit ihn zum Kind gemacht hatte. Der Mann verstand einiges von Verletzungen. Dennoch, der Gedanke an die Schmerzen … „Sie braucht nur Ruhe.“
„Unsinn“, mischte sich Rhiannon leise ein. „Ich kann ruhen, aber der Schlaf der Genesung beginnt erst im Morgengrauen. Ich glaube, dass ich bis dahin verblutet bin.“
Als er ihre Worte hörte, war es Roland, als hätte man ihm mit der Faust in den Magen geschlagen. So tollkühn und nervtötend sie war, er konnte sie nicht sterben lassen. Allein der Gedanke war unerträglich. Er sah abermals zu Frederick. „Kannst du das?“
Fredericks blaue Augen wurden groß, er schüttelte den Kopf. Offenkundig erfüllte ihn die bloße Vorstellung mit Todesangst.
„Du musst die Wunde nähen, Roland.“ Rhiannons Stimme klang fest und entschlossen, aber er hörte die Schwäche heraus. „Es muss doch in diesem Haus irgendwo eine Nadel geben. Du kannst die Seidenfäden meiner Bluse benutzen. Die ist sowieso ruiniert.“
Er bemerkte ihren zunehmend umwölkten Blick und wusste, dass sie recht hatte. Das geisterhafte Bild der Nadel, die er selbst führte, um ihr qualvolle Schmerzen zuzufügen, machte ihn krank. Doch er riss sich zusammen. Er würde tun, was getan werden musste.
„Ich bringe eine Nadel“, sagte Frederick leise. Er wandte sich um, schlurfte die Wendeltreppe aus Stein hinauf und hielt sich dabei dicht an der Wand, als hätte er Angst, er könnte vielleicht abstürzen, wenn er zu nahe an der offenen Seite ging.
Roland hob Rhiannon wieder hoch. Er wandte sich dem Gewölbekorridor zum Westflügel zu. Jameys leise und bebende Stimme hielt ihn auf. „Das war Rogers, nicht wahr?“
Rhiannon hob den Kopf von Rolands Schulter, als dieser sich zu dem wütenden Jungen umdrehte. „Nein, Jameson“, ließ sie ihn wissen. „Der war es nicht. Es war ein Mann, den ich vorher noch nie gesehen habe.“
„War er vom DPI?“
Sie seufzte. „Weiß ich nicht mit Sicherheit.“
Da sah Jamey Roland an. „Hast du ihn getötet?“
„Nein.“
„Aber das hätte er“, wandte Rhiannon hastig ein, als müsste sie ihn in Schutz nehmen. „Ich musste darauf bestehen, dass wir den Mann in Ruhe lassen und verschwinden, bevor uns die anderen aufspüren konnten.“
„Es wäre keine Lösung gewesen, ihn zu töten, Jameson. Das hätte nur mehr Probleme nach sich gezogen.“
Jamey schüttelte langsam den Kopf. „Das akzeptiere ich nicht.“ Er sah Roland wieder an, und in seinen jugendlichen Augen brannte ein Feuer, das den älteren Mann erschauern ließ. Als würde er in einen Spiegel blicken und sein jüngeres Ich vor sich sehen. „Egal“, sagte Jamey. Er sah Pandora an und neigte einfach nur den Kopf. Dann ging er ihnen voraus den Korridor entlang, und die Katze machte einen Sprung, um ihn einzuholen.
Roland runzelte die Stirn. „Hast du das gesehen?“
Rhiannon, die den dunklen Flur entlangsah, schüttelte den Kopf. „Er verständigt sich mit meinem Kätzchen.“
Sie hörte sich an, als würde ihr das nicht gefallen.
Rhiannon knirschte mit den Zähnen und kniff die Augen fest zu. Roland bohrte die Nadel mit zitternden Händen in ihre Haut und zog den Faden abermals zu einem festen Knoten zusammen. Er schnitt den Faden mit einer kleinen Nagelschere durch, beugte sich über sie und begann erneut.
Sie trug ein beigefarbenes von ihrem eigenen Blut besudeltes Nachthemd. Die ruinierte Bluse und den Rock hatte Roland ihr ausgezogen. Sie lag in Rolands Bett auf dem Rücken. Natürlich war das nicht sein Bett. Er hatte es nur in seiner Kammer stehen, um den Schein zu wahren. Einen Augenblick hatte sie Zeit gehabt, sich darüber zu freuen, dass er es stets frisch bezogen und eine flauschige Decke darauf liegen hatte, dann begann die Folter.
Roland saß mit grimmiger Miene auf der Bettkante. Jamey stand auf der anderen Seite. Nach dem ersten Stich und Rhiannons Stöhnen hatte er ihre Hand ergriffen. Sie drückte sie mit jedem neuerlichen Schmerz fester, bis sie sich daran erinnerte, dass sie seine sterblichen Knochen nicht zu Staub zermalmen sollte.
„Das ist meine Schuld. Ich
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