Erinnerungen der Nacht
hätte nicht darauf bestehen sollen, dass ihr mich zu dem Spiel begleitet.“
Rhiannon schüttelte rasch den Kopf. „Ich habe darauf bestanden, dass du gehst, und ich bedaure es kein bisschen.“ Sie biss sich auf die Unterlippe, als Roland sie erneut mit der Nadel pikste. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. „Du hast großartig gespielt, Jamey. Ich hatte einen Riesenspaß.“
„Du hättest sterben können.“
„Auf keinen Fall, Roland war doch dabei.“ Wieder ein Stich, und wieder holte sie zischend Luft. „Natürlich ist es für ihn ein alter Hut, hilflose Frauen zu beschützen.“
„Du bist kaum hilflos, Rhiannon“, meldete sich Roland zu Wort, kniff die Lippen jedoch gleich wieder fest zusammen, als er weiterarbeitete.
„Er war ein Ritter. Hast du das gewusst?“ Sie musste etwas sagen, egal was, damit sie Jamey von der bitteren Wut ablenkte, die ihn, wie sie spürte, zu übermannen drohte, und sich selbst von ihrer eigenen Qual. Es war unfair, dass man so stark und gleichzeitig so schwach sein konnte. Sie versuchte zwar, ihre Schmerzen vor den beiden zu verbergen, wusste aber, dass sie damit kläglich scheiterte. Mit jedem Stöhnen, das sie von sich gab, wurde Rolands Gesicht blasser und der Hass in Jamesons Augen brennender.
Aber wenigstens schienen ihre Versuche, den Jungen abzulenken, Früchte zu tragen, denn Jameys Augen wurden groß. Zur Abwechslung sah er einmal nicht wie ein gequälter junger Mann aus, sondern wie ein staunender kleiner Junge. „Ein Ritter? Mit Rüstung und Schwertern und alledem?“
„Ja. König Ludwig VII. hat ihn für seine Tapferkeit zum Ritter geschlagen. Aber er hat mir die ganze Geschichte nie erzählt.“ Sie kniff die Augen fest zu, um heiße Tränen zurückzuhalten, als die Nadel sie wieder pikste. Ihr wurde klar, dass sie die Geschichte wirklich hören wollte. Sie würde sie wenigstens teilweise von den Schmerzen ablenken. Außerdem spürte sie, dass Roland sich alles einmal von der Seele reden musste.
Er warf ihr einen Blick zu, der sie zum Schweigen bringen sollte, doch sie antwortete mit einem raschen Kopfschütteln.
„Erzählst du sie uns jetzt, Roland?“
Roland sah kurz zu Jamey.
„Ja, ich wünschte auch, das würdest du“, ertönte eine tiefe Stimme jenseits der offenen Tür. Rhiannon sah hastig auf und erblickte einen großen, hübschen Mann und eine zierliche Frau mit schwarzer Lockenpracht und perfekten runden Rehaugen. Unsterbliche, alle beide.
„Eric.“ Roland stand sofort auf und legte sein Folterinstrument auf den Nachttisch. Die beiden Männer trafen sich in der Mitte des Zimmers und umarmten sich wie Brüder. Jamey lief zu der Frau, die die Arme um ihn legte und schniefte wie ein rührseliger Mensch.
Aus den Augenwinkeln sah Rhiannon, wie Pandora sich duckte. Die Katze spannte die Lippen und fletschte die Zähne zu einem bedrohlichen Fauchen. Sie fuhr die Krallen auf eine beängstigende Länge aus und ging in eine geduckte Haltung, als sie sich darauf vorbereitete, die Frau anzuspringen, die Jamey hielt.
Es blieb keine Zeit für einen Warnruf. Rhiannon schnellte vom Bett hoch, landete auf der Katze und hielt sich an deren Hals fest. Die Stiche, die Roland so mühsam genäht hatte, rissen wieder auf; Rhiannon stieß vor Schmerzen einen lauten Schrei aus.
Die zierliche Frau rückte von Jamey ab und ließ sich neben Rhiannon auf die Knie fallen. Pandora befreite sich aus dem schwachen Klammergriff ihrer Herrin, wurde jedoch gleich wieder von Jamey festgehalten. Dann hob Roland Rhiannon wieder aufs Bett und fluchte verhalten.
„Könntest du uns vielleicht sagen, was zum Teufel hier los ist, alter Freund?“
Roland sah Eric nicht an. Sein gequälter Blick galt Rhiannons Gesicht. Er strich ihr das Haar aus den Augen. „Wir hatten einen kleinen Zusammenstoß mit dem DPI. Ich erzähle euch später alles.“ Roland suchte nach seiner Nadel und versuchte vergebens, den Faden einzufädeln. Durch brennende Tränen sah Rhiannon, wie seine Hände heftig zitterten.
Die zierliche Frau berührte ihn an der Schulter. „Lass mich.“
Roland seufzte vor Erleichterung, gab die Instrumente weiter und stand auf. Die Frau nahm seinen Platz auf der Bettkante ein. „Ich bin Tamara.“
„Rhiannon“, antwortete sie mit zusammengebissenen Zähnen. „Und ich ertrage diese Nadel nicht mehr.“
Tamara betrachtete die Wunde stirnrunzelnd und schob das Nachthemd ein wenig hoch. „Sieht nicht so aus, als ob du eine Wahl hättest.“ Sie drehte
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