Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
ganzen bewohnten Erde) oder Zerstörung der Ökumene selbst – das ist heute die Alternative. Und deshalb soll man eben gerade keinen »Clash« herbeireden, sondern für den »Dialog der Zivilisationen und Religionen« eintreten, und dies nicht nur am Schreibtisch, sondern überall dort, wo sich eine Gelegenheit bietet. Im selben Jahr 1984, da unsere Dialogvorlesungen über Christentum und Weltreligionen im Druck erscheinen, unternehme ich meine vierte Reise um die Welt, deren letzte Station eines der bedeutendsten, aber künftig auch konfliktreichsten Länder des Islam ist: Pakistan.
Praktizierter interreligiöser Dialog: Pakistan
Meine programmatische These vom Frieden und Dialog der Religionen als einer Voraussetzung für den Frieden zwischen den Nationen ist zusammen mit meinem bereicherten Wissen über den Islam eine gute Grundlage, um praktische Gelegenheiten des Dialogs wahrzunehmen, wo immer sie sich bieten. Höchst aufschlussreich ist für mich der kurze Aufenthalt in Pakistan am Ende dieser vierten Reise um die Welt, von der noch die Rede sein wird. Von Nepals Hauptstadt Kathmandu kommend, erreiche ich in Delhi rennend und schreiend nur mit knapper Not den Anschlussflug nach Lahore in Pakistan. Am 16. Februar 1984 treffe ich, dieses Mal in Begleitung von Marianne Saur, hier ein auf demselben Flughafen, auf welchem ich 1971 anlässlich der zweiten Weltreise, von Afghanistan kommend, im Flugzeug einen einstündigen schweißtreibenden Aufenthalt zu überstehen hatte.
Zum Abendessen sind wir eingeladen vom Direktor des modernen Hotels Hilton, einem Schweizer namens HEINZ SCHWANDER . Wir werden groß mit einem Photographen empfangen, und ich freue mich schon darauf, nach vielen Wochen wieder einmal ein Glas Wein trinken zu dürfen. Welche Enttäuschung, als ich zu wählen habe zwischen Orangensaft und Coca-Cola. Dafür hilft mir Direktor Schwander persönlich, für meine Mitarbeiter schöne handgeknüpfte Teppiche auszusuchen; einer von ihnen ziert zusammen mit einem Afghan bis heute mein Wohnzimmer.
Ein sehr intensives Programm ist mir für Pakistan vorbereitet worden, und zwar von einer pakistanischen Muslimin und engagierten Islamwissenschaftlerin, RIFFAT HASSAN , die in Durham (England) ihren Ph. D. erwarb und in Louisville an der Universität von Kentucky Religionswissenschaft lehrt. Zugleich ist sie eine der ersten muslimischen Feministinnen. Sie hatte mich – durch die Vermittlung meines Freundes Professor Leonard Swidler – am 6. Mai 1982 in Tübingen besucht. Riffat zeigt uns die eindrucksvolle Moschee Badschahi, eine der größten Pakistans, mit dem Vorplatz für viele Tausende von Gläubigen.
Der Direktor des Goethe-Instituts, Dr. SCHREIBER , zeigt sich ausgesprochen nervös; er habe kaum geschlafen, wisse man doch nicht, was beim Vortrag eines christlichen Theologen passieren werde, sagt er. Ich spreche nämlich am 17. Februar 1984 vor der Islamic Philosophical Association of Pakistan im vollen Saal des Goethe-Instituts über den christlichen-muslimischen Dialog. Und es passiert – nichts. Im Gegenteil: ich werde mit großer Hochachtung begrüßt und vorgestellt. Meine Darlegungen werden mit Sympathie aufgenommen. Und in der Presse gibt es ausführliche freundliche Berichte von den muslimischen Professoren TARIQ AHSAN und KHWAJA MASUD , in dessen Haus in Rawalpindi ich zum Dinner eingeladen werde. Ich erkenne, welche Möglichkeiten sich gerade hier in Pakistan bieten würden, wenn man den Dialog pflegte, statt (mit US-Unterstützung) Aufrüstung und Militarisierung zu befördern und das Land (wie später unter US-Präsident Bush jun.) wegen der US-Invasion von Afghanistan in eine Zerreißprobe zwischen den demokratischen und fundamentalistischen Kräften zu stürzen. Ich führte auch Gespräche im Department of Philosophy der Punjab University und im Institute of Islamic Culture.
Zum Mittagessen sind wir eingeladen im Haus von Professor RAFIULLAH SHEHAB , einem der bekanntesten Gelehrten Pakistans, der mich über die geistige Lage bestens orientiert. Ich wundere mich nur, dass ich weder seine Frau noch seine Töchter zu Gesicht bekomme. Ich kann nun besser verstehen, warum Riffat, die mich nachher mit ihrer Tochter in ihrem Haus empfängt, gerade über die Rolle der Frau im Koran arbeitet, die darin noch viel weniger Einschränkungen unterworfen ist als in der späteren Rechtsordnung, der Scharia. Die Stellung der Frau im Islam wird immer wieder Gegenstand meiner Gespräche
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