Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
sondern über das Verhältnis »Christentum – Islam« reden dürfe. Dies wird sofort akzeptiert. Und mein Kollege van Ess sagt mir spontan: »Dann komme ich mit; ohne Farsi, die Sprache Irans, sind Sie verloren.« Selbstverständlich bin ich hocherfreut über diese Begleitung wie auch über die Teilnahme an den Sitzungen des in Deutschland lehrenden Iraners Professor ABDOLDJAVAD FALATURI .
Am 6. März 1985 merken van Ess und ich schon in Frankfurt beim Einstieg in eine Maschine der Iran Air, dass wir in eine andere Welt kommen. Wir sind offenkundig die beiden einzigen Nicht-Iraner in dem engbestuhlten Flugzeug, das keine Business Class aufweist. Wir fliegen über den Balkan, die Türkei und das Zweistromland, wo ich zwar nicht die Ruinen des babylonisch-assyrischen Ninive, wohl aber die Quellflüsse von Euphrat und Tigris zu entdecken versuche, bis wir dann in Teheran, der Stadt am Südabfall des Elbursgebirges, ankommen. Vor der Landung legt sich die einzige elegante iranische Dame neben uns das Kopftuch um. Sie »muss«, wie sie mir auf meine Frage hin antwortet. Wie ich wohl aufgenommen würde, frage ich meinen Kollegen van Ess. Da bräuchte ich mir keine Sorge zu machen, meint er. Als gläubiger Christ würde ich mit Respekt behandelt und als Theologe erst recht. Er als Religionswissenschaftler (die nach Auffassung fundamentalistischer Iraner »an nichts glauben«) habe mehr Probleme als ich. In der großen Ankunftshalle des Teheraner Flughafens aber herrscht das totale Chaos; es dauert wohl eine Stunde, bis wir die uns Abholenden und unsere Koffer aufzufinden vermögen.
Khomeinis Tochter
Wir sind im Hilton Hotel untergebracht, in welchem aber kaum ein Amerikaner zu sehen ist und der übliche gute Service fehlt. Doch sind wir froh, bald ins Bett steigen zu dürfen. Am nächsten Vormittag besuchen wir das Zentrum Teherans, den Basar und ein Heiligengrab. Am Nachmittag erfolgt die Eröffnung unseres Symposions durch Dr. BORUDSCHERDI , Schwiegersohn des Revolutionsführers Khomeini. Es folgt ein Referat des liberalen Ajatollah AHMADI , eines Spezialisten für Erziehungsfragen. Für einen Abendimbiss sind wir in der deutschen Botschaft. Doch am nächsten Tag – der 8. März 1985 ist ein Freitag – wird es für mich ernst.
Ich finde mich ohne lange Vorstellung vor einer Versammlung von wohl vier bis fünf Dutzend hochgestellten Mullahs. Und komme mir vor wie vor einem guten Jahrzehnt in Boston bei meiner ersten Pressekonferenz in den Vereinigten Staaten. Meine Stärke ist, so sehe ich dies im Nachhinein, dass ich von meiner Botschaft – ob es nun damals die Erneuerung der katholischen Kirche und Wiedervereinigung der christlichen Kirchen war oder jetzt der Friede zwischen den Religionen und Nationen ist – völlig überzeugt bin und sie ohne Angst klar, verständlich und überzeugend vortrage. Doch wie ich wohl hier im fremden Teheran am besten beginne? Dass ich schon vor Jahren in Teheran war und seither ein schöner Afghan-Teppich meine Wohnung schmückt, dürfte wenig Eindruck machen. Aber als ich sage, ich sei als überzeugter christlicher Theologe nach Teheran gekommen, geht ein Nicken durch die Reihen der Turbanträger. Und als ich hinzufüge, ich sei gekommen, um den Islam besser kennenzulernen, wird ihr Nicken noch deutlicher.
Dies wird für mein ganzes Leben die Bestätigung meiner Grundhaltung im interreligiösen Dialog sein. Ich will nicht von einem übergeordneten »neutralen« Standpunkt aus alles beurteilen, sondern will Offenheit und Wahrheitsgewissen, Pluralität und Identität, Dialogfähigkeit und Standfestigkeit verbinden. Diese Grundhaltung ermöglicht es mir, beim Gegebenen anzusetzen und es dem Prozess des Gesprächs zu überlassen, was dabei als Resultat herauskommt. Ich lerne die verschiedenen Traditionen, Ur-Kunden und Heilsträger in ihrem eigenen Stellenwert ernst zu nehmen. Vor allem kann ich auch meinen Gesprächspartnern von vornherein ihren Glaubensstandpunkt zugestehen und von ihnen zunächst nur die unbedingte Bereitschaft, zu hören und zu lernen, erwarten.
Ich rede, ständig konsekutiv ins Persische übersetzt, im Sinn meiner Tübinger Vorlesungen über die christliche Auffassung vom Islam und über den Frieden zwischen den Religionen als Voraussetzung für den Frieden zwischen den Nationen. Meine kritischen und selbstkritischen Ausführungen werden gut aufgenommen. Ich setze mich anschließend in die zweite Reihe, neben einen muslimischen Gelehrten, der sich leicht
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