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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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verspätet hingesetzt hatte und der durch den schwarzen Turban als aus der Familie des Propheten stammend ausgezeichnet ist. Ich frage ihn nach seinem Namen, verstehe ihn aber nicht. Nachher sagt man mir, das sei der Minister für »Ershad«, für islamische Führung oder Kultur, MOHAMMAD KHATAMI ; ich werde noch von ihm hören.
    In der hintersten Reihe des Saales sitzen auch einige Frauen, wie jetzt üblich ganz in Schwarz, das Haupt mit dem Tschador, dem Schleier, bedeckt. Am Ende huschen sie rasch an mir vorbei, doch mit einem freundlichen Lächeln auf dem Gesicht. Ich spreche anschließend mit Khomeinis Schwiegersohn, Dr.   Borudscherdi. Er sagt mir, seine Frau, Imam Khomeinis Tochter , habe alles mit angehört. »Ich würde gern mit ihr sprechen, wenn dies möglich ist«, sage ich. »Selbstverständlich ist dies möglich. Sie befindet sich gerade im Zimmer nebenan.«
    Wir gehen hin, und Khomeinis Tochter kommt mir entgegen, ihren Tschador nicht mehr unter dem Kinn geschlossen, sondern lose auf die Schultern fallend. Ich habe es selten erfahren, dass ein Frauengesicht so aufgeleuchtet hat, als sie mich plötzlich erblickt. Sie kommt mir ein paar Schritte entgegen; ich weiß, dass man in Iran einer Frau nicht die Hand reicht, und verbeuge mich leicht. »I liked very much what you said about Islam – mir hat sehr gefallen, was Sie über den Islam sagten«, sagt sie in gutem Englisch. Ich danke für diese Anerkennung: »Sie können daraus ersehen, dass es christliche Theologen gibt, die durchaus gut vom Islam reden, und berichten Sie dies doch bitte Ihrem Vater, wenn Sie ihn sehen.« – »Ich werde ihn noch heute Abend sehen und ihm alles erzählen.« Natürlich weiß ich nicht, welche Folgen so eine Begegnung hat – vielleicht keine? Jedenfalls hat dies alles mein Ansehen als Dialogpartner gefestigt, und ich werde demnächst eingeladen, bei einem Staatsbesuch in Teheran für einen weiteren Dialog dabei zu sein. Über die behandelten Probleme und unterschiedlichen Positionen berichte ich im Anschluss an diese erste Iran-Reise in »Die Zeit« vom 29. 3. 1985.
    Saddam Husseins Bombe: Isfahan
    Nach dem Abendessen diskutieren wir mit den Iranern noch bis tief in die Nacht, wobei mir als besonders kenntnisreich und scharfsinnig ABDOLKARIM SOROUSH auffällt. Mich hat beeindruckt, wie er in seinem Referat am Nachmittag über DSCHALAL AD-DIN RUMI , Begründer des islamischen Ordens der tanzenden Derwische, auswendig ganze Gedichte dieses bedeutendsten Vertreters der persisch-islamischen Mystik (13. Jh.) vorträgt. Von seinen Doppelversen, welche die Sehnsucht nach der Vereinigung mit Gott ausdrücken, verstand ich kein einziges Wort. Aber die sprachliche Schönheit und der hinreißende Rhythmus ließen mich ihnen wie Musikstücken lauschen.
    Nebenbei angemerkt: Obwohl Rumis Poesie das Wort Wein nicht fremd ist, erhalten wir in all den Tagen keinen Wein kredenzt und müssen uns mit alkoholfreiem Bier begnügen. So diskutieren wir denn mehr als nüchtern, aber immer freundlich unter anderem auch über den Fall Galilei, wobei Soroush den Papst (beziehungsweise Khomeini), der nicht einfach unrecht gehabt habe, verteidigt, ich aber Galilei, der zweifellos recht hatte. Auch in der deutschen Botschaft unterhalten wir uns bei selbstfabriziertem Wein gutgelaunt. Nur beim Schweizer Botschafter wird mir bei einem privaten Abendessen hervorragender französischer Rotwein serviert; bei jedem Umzug eines Botschaftsangehörigen würde man die Gelegenheit zum Weinimport benützen. Statt deutschem Legalismus eidgenössischer Pragmatismus?
    Besonders freut es mich, dass ich mit meinem Kollegen van Ess am nächsten Tag nach Isfahan fliegen darf: unter den Safawiden im 17./18. Jahrhundert Irans Hauptstadt, von Schah ABBAS  I.in der wüstenhaften Hochebene (1500   Meter über dem Meeresspiegel) prachtvoll ausgebaut, rund um den großartigen weiträumigen rechteckigen Parade- oder Festplatz ( maidan ) Schah-Moschee und Medrese. Und dabei geschieht es: Wir stehen am hellen Vormittag um etwa 11 Uhr auf dem großen Platz – und da plötzlich von ganz nahe der ohrenbetäubende Knall einer Bombe mit einer aufsteigenden riesigen schwarzen Rauchwolke! Die Iraker bombardieren Isfahan! Ein Schrecken, aber er hält sich in Grenzen und hindert mich nicht daran, kurz darauf am selben Platz eine jener schönen persischen Miniaturen zu kaufen. Ich glaube mich in Gottes Hand und kann in Deutschland ebenso gut wie in Iran mein Leben verlieren. So

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