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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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und Ähnliches mehr – nach der Feier sorgfältig aufbewahrt – sollten den Eindruck noch verstärken. Der letzte Sinn dieses Selbstschmuckes aber ist generell schwierig festzustellen und muss von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich betrachtet werden.
    Wichtiger ist für mich die Einsicht, dass es offensichtlich auch auf dem entlegenen Hochland von Neuguinea keine Gesellschaft, keine Dorfgemeinschaft, keinen Familienverband gibt ohne ein bestimmtes Instrumentarium an Normen, Gesetzen und Bestimmungen, die das menschliche Zusammenleben regeln. Ein einsamer, auf der Landstraße marschierender Neuguineer, der neben seinem Lendengürtel nur ein Steinbeil trägt, erinnert mich zum Beispiel daran, wie nicht nur der Schutz des Lebens, sondern auch der Schutz des Eigentums und schließlich auch der Schutz der geschlechtlichen Beziehungen selbst für diese »steinzeitlichen« Gesellschaften von grundlegender Bedeutung ist. Diese Einsicht lässt mich später von einem Ur-Ethos sprechen mit vier Grundpfeilern (nicht morden, stehlen, falsches Zeugnis geben, Sexualität missbrauchen), nicht aber von einer Ur-Religion .
    Umstrittene Anfänge der Religion
    Ein Wort, das mir schon als Schüler in der Zeitung auffiel, mit dem ich zunächst aber wenig anzufangen wusste, war »Anthropos-Institut«. In der Tat handelte es sich um ein Institut an der Universität Fribourg, in welchem P.  WILHELM SCHMIDT SVD als Ethnologe den Ursprüngen des »Anthropos«, des »Homo sapiens«, eben des »Menschen«, wie er heute existiert, nachspürte: ihm und seiner Religion. In seinen zwölf Bänden mit dem Titel »Der Ursprung der Gottesidee« (1912   –   55) wollte er beweisen, dass zumindest in gewissen Stämmen der Glaube sich nicht an bestimmte Geister oder Götter, sondern an einen »Hochgott« (Ur- oder Allvater) richtet.
    Diese Arbeit war gerichtet gegen das Evolutionsschema von Forschern wie E. B.  TYLOR über »Primitive Culture« (1871), der meinte, überall eine Entwicklung der Religion vom Seelen- oder Geisterglauben über den polytheistischen Götterglauben zum monotheistischen Gottesglauben beweisen zu können. Im Hintergrund stand das schon von Hegel und Comte her gegebene geschichtsphilosophische Dreitaktschema: Magie (Zauber) – Religion – Wissenschaft. Was dann von dem Ethnologen J. G.  FRAZER mit ungeheuer vielen Fakten angefüllt wurde, während SIGMUND FREUD in »Totem und Tabu« (1913) in diesem Schema seine psychoanalytische Deutung vom Ursprung der Religion phantasievoll ausbreitete: Religion gründe in einem Ödipuskomplex, in der zu sühnenden Ermordung des Vaters der Urhorde. Eine These, die, wie ich im Zusammenhang meiner Freud-Studien feststellte, in keiner Weise verifiziert ist und letztlich auch keine große Gefolgschaft findet.
    Später finde ich heraus, was das Resultat der Debatte über den Ursprung der Religion ist: Historisch eindeutig lässt sich weder eine Degenerationstheorie von einem monotheistischen Höhenanfang her noch die Evolutionstheorie von einem animistischen Tiefenanfang her beweisen. Heute besteht unter Forschern Übereinstimmung: Phänomene und Phasen durchdringen einander. Von den neuen Anthropologen lerne ich: Mehr als von Phasen und Epochen (einem »Nacheinander«) spricht man jetzt von Schichten und Strukturen (einem »Übereinander«), die sich in ganz verschiedenen Entwicklungsstufen, Phasen oder Epochen finden können.
    Und was ist nun die zunächst gesuchte »Urreligion« des Menschen? Auch diese Frage hat sich geklärt: Sie ist nicht zu finden . Religion zeigt sich überall in jeweils anderen Formen. Zu vielfältig und vielschichtig ist die ganze Entwicklung. Überdies sind die zeitgenössischen »Naturvölker« nicht Urvölker. Auch sie haben alle eine lange, wenngleich ungeschriebene Geschichte hinter sich. Deshalb findet sich in religionsgeschichtlichen Handbüchern kaum mehr ein Kapitel über die Urreligion, sondern nur noch mehrere Kapitel über indigene Religionen, konkret die australische, nordamerikanische, afrikanische und polynesische Religion.
    Über Polynesien konnte ich schon auf meiner ersten Reise durch die Südsee von West nach Ost im Herbst 1971 viele Erfahrungen sammeln, in Neukaledonien, Fidschi, Samoa und Tahiti (Bd 2, Kap. V: Zauber der Südsee). Die Reise nach Neuguinea, 13 Jahre später, führt mich wiederum durch die Südsee, dieses Mal von Ost (USA) nach West (Australien). Unvergessen bleibt mir vor allem der fünftägige Aufenthalt im Königreich Tonga

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