Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
nicht zustande, weil es von beiden Seiten als unfair angesehen wurde.
Ich würde dem palästinensischen wie dem israelischen Staatsmann zunächst guten Willen zum Frieden zubilligen. Ich lerne (als Sondergast beim Staatsbesuch von Bundespräsident ROMAN HERZOG), wie berichtet , Jassir Arafat am 17. November 1998 in Jericho kennen – und empfinde beinahe so etwas wie Mitleid mit dem alt gewordenen Vorkämpfer des palästinensischen Volkes. Den früheren israelischen Generalstabschef und jetzigen Premierminister Ehud Barak kann ich (als Sondergast beim Staatsbesuch von Bundespräsident JOHANNES RAU) am 17. Mai 1999 in Jerusalem begrüßen und darf mir in meinem Status die freundliche Bitte erlauben: »Sie waren ein tapferer General, Herr Premierminister, jetzt, hoffe ich, werden Sie ein tapferer Kämpfer für den Frieden sein.« Und seine Frau würde ihn sicher dabei unterstützen. Beide lächeln.
Aber Baraks Friedensplan präsentiert ein zerstückeltes palästinensisches Staatsgebiet – inakzeptabel für Arafat. Dieser versteift sich in der Defensive auf das Recht aller Palästinenser auf Rückkehr in ihre früheren Wohngebiete – natürlich inakzeptabel für Barak. Seither gibt es keine ernsthaften Friedensbemühungen mehr.
Doch ich habe schon von fairen Lösungsvorschlägen zu den anstehenden Problemen berichtet. Nochmals: Ich verstehe die Sorge der Israeli um ihre eigene Sicherheit. Ihre Angst vor einer Atombombe auf Tel Aviv ist berechtigt. Doch diese Angst kann nicht besiegt werden durch Präventivangriffe auf andere Staaten, beispielsweise auf Iran. Mit anderen Worten: Nur ein fairer Friede und die Zusammenarbeit zweier selbstständiger Staaten können die Angst nehmen.
Allerdings setzt dies von beiden Seiten die stärkere Beachtung gemeinsamer ethischer Standards voraus. Und ich zitiere gern zum Abschluss dieses Kapitels das Statement, das ich am 25. Juni 1998 an dem Platz in Tel Aviv abgab, wo 1995 der friedenswillige israelische Premierminister JITZCHAK RABIN ermordet wurde: Meine Hoffnung ist, dass »das Judentum sein ganzes gewaltiges religiöses und ethisches Erbe in diese neue Weltepoche« einbringe: »Denn es gibt es kaum ein anderes Volk, das etwas so Substanzielles und Markantes für ein kommendes gemeinsames Menschheitsethos zu bieten hat wie gerade das Judentum mit seinen Zehn Geboten .
Diese sind, wie der deutsche Schriftsteller Thomas Mann nach den Schrecken des Nationalsozialismus erklärt hat, die Grundweisung und der Fels des Menschenanstandes, ja das A und O des Menschenbenehmens. Und dieses ›A und O des Menschenbenehmens‹ muss in der Zeit der Globalisierung gerade auch für Weltpolitik und Weltwirtschaft gelten. Ohne ein Weltethos droht die Weltpolitik und die Weltwirtschaft in einem Weltchaos zu enden.«
Szenenwechsel:
VII. Die Welt der Ozeanier, Afrikaner und Indios
»Wir können es nicht akzeptieren, dass die Kirche ihre Verantwortung für die Vernichtung unserer Kultur und unserer Identität nicht anerkennt.«
Luis Evelis Andrade, Direktor der Organisation der Ureinwohner Kolumbiens, als Reaktion auf die Behauptung Papst Benedikts XVI. (in Aparecida/Brasilien am 13. Mai 2007), »die Stämme hätten die Ankunft der Priester im Zuge der spanischen Eroberung still herbeigesehnt«.
Ich sehe ihn noch vor mir, den nackten dunkelhäutigen Mann, nur umgürtet mit Grasbüscheln vorn und hinten, wie er offensichtlich zu Geschäften in die moderne Bank eilt. Es war am 26. Januar 1984 in Mount Hagen, im Hochland von Papua-Neuguinea im südwestlichen Pazifik, wo es erst seit 1936 einen Polizeiposten, inzwischen aber ein Verwaltungszentrum mit gut 15.000 Einwohnern gibt, von denen manche noch in der Steinzeit leben. Doch was für eine Zumutung für die Ureinwohner hier: Eine Entwicklung, für die die europäische Menschheit Jahrtausende gebraucht hat, sollen diese Menschen in einem Lebensalter nachvollziehen? Über den riesigen Kontrast zwischen Steinzeit und Atomzeitalter geben sich die Weißen oft keine Rechenschaft.
Die Geisterwelt von Neuguinea
Es war für mich nicht leicht, traditionell lebende Ureinwohner kennenzulernen. Natürlich wurden mir in den USA verschiedentlich einzelne Männer und Frauen – neuerdings mit einem gewissen Stolz – als »Ureinwohner« oder »indigenous people« des amerikanischen Kontinents vorgestellt; doch schienen mir diese Einzelnen kaum die alte indianische Kultur zu repräsentieren. Ebenso wenig Indianersiedlungen wie ein Dorf bei Santa
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