Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Fe in New Mexico oder – wie in Kap. IV berichtet – eine Indianersiedlung im Grand Canyon in Arizona. Dort war alles so stark modernisiert, dass kaum noch traditionelle Lebensweisen durchschienen. Denselben Eindruck hatte ich auch von den zahlreicheren Ureinwohnern auf den Hawaii-Inseln, im Allgemeinen polynesischer Herkunft. Deswegen war es mir so wichtig, Papua-Neuguinea kennenzulernen, wo sich damals auch der internationale Tourismus noch kaum entwickelt hatte.
Nach einem dreistündigen Flug war ich, begleitet von Marianne Saur, am 22. Januar 1984, von Brisbane an der australischen Ostküste kommend, in Port Moresby an der Ostküste Neuguineas eingetroffen. Erst 1873 war dieser Platz von Captain JOHN MORESBY , einem britischen Marineoffizier, erkundet worden. Aber im Zweiten Weltkrieg diente er als alliierte Operationsbasis und war deshalb starken japanischen Angriffen ausgesetzt. Seit der 1975 erlangten Unabhängigkeit von Australien ist Port Moresby die Hauptstadt Papua-Neuguineas mit einem Regierungsviertel und sogar einem Nationalmuseum. Die Westhälfte der 2100 Kilometer langen und von parallelen Gebirgsketten durchzogenen Insel Neuguinea wurde allerdings von Indonesien beansprucht und ist seit 1963 als »Irian Jaya« unter indonesischer Herrschaft. Im Nordosten hatte sich zusammen mit den Bismarckinseln von 1884 bis zur Besetzung durch die Australier im Ersten Weltkrieg eine Kolonie Deutsch-Neuguinea gebildet.
Nach Abwicklung der Einreiseformalitäten fliegen wir sofort weiter in einem kleinen Flugzeug quer über die Insel nach Madang an der Nordküste. Dort gibt es bereits ein kleines hübsches Touristenhotel in tropischer Landschaft mit einem schönen Blick auf den freilich recht unbedeutenden Hafen. Überall im Hotel und dem interessant angelegten Hotelgarten Masken und Geister abwehrende Stelen, die uns gleich von Anfang an mit Neuguineas Geisterwelt – auch draußen auf dem Land mit zahllosen Geisterhäusern bezeugt – in Berührung bringen.
Am nächsten Tag geht es mit Benjamin, einem freundlichen Einheimischen, in einem kleinen Geländewagen über ungeteerte Straßen quer durch die hügelige Provinz Simbu in das nur aus verstreuten Hütten bestehende Dorf Minj. Da ist zu beobachten, wie diese Ureinwohner nun nicht mehr nur von Jagd- und Sammelwirtschaft leben, sondern auch von Ackerbau und Schweinehaltung; gerade Schweine (und Schweinekiefer an den Bäumen) sind Zeichen des Wohlstandes und werden etwa bei Hochzeiten in großen Mengen verzehrt. Seit rund 10.000 Jahren, seit der großen Umwälzung der Jungsteinzeit, gibt es ja neben Jägern, Fischern und Sammlern immer mehr auch sesshafte Ackerbauern und Viehzüchter – Menschen, die auf ihren festen Wohnplätzen Dorfkulturen entwickelten. Im Gegensatz zu den großen Häuptlingsstämmen in den polynesischen Gesellschaften weiter östlich im Pazifischen Ozean finden sich im melanesischen Neuguinea noch immer nur zahllose kleine Gesellschaften und Sprachgruppen.
Besuch auf einem Markt. Unser Fahrer und Führer Benjamin führt uns auch zu neuen Kaffee- und Teeplantagen, wo seine Schwester arbeitet. Interessanter aber ist für mich der Besuch bei seiner Mutter, die in einer strohbedeckten Hütte mit drei Abteilungen lebt: ein Teil für Küche und Wohnen, in der Mitte die Tiere, hauptsächlich Schweine, und schließlich die Schlafstelle, in diesem Fall nur für die Frauen. Die in dieser Gesellschaft zweifellos dominierenden Männer, so können wir feststellen, haben eine eigene Hütte, in die aber die jungen Männer erst bei Geschlechtsreife und nach einem Initiationsritus eintreten dürfen. Alles erscheint hier geordnet, das Eigentum wie die Geschlechterbeziehung.
Auf der weiteren Fahrt treffen wir auch auf eine Missionsstation sympathischer katholischer Ordensschwestern aus der Schweiz, die sich ganz dem Schulunterricht widmen. Am nächsten Tag fahren wir mit Benjamin durch die Landschaft und begegnen einem alten Häuptling, der uns stolz seine fünf Frauen zeigt und Marianne Saur anbietet, als sechste in seine Familie aufgenommen zu werden. Dies wird zwar lachend abgelehnt, macht uns aber nachdenklich. Schon damals fragte ich mich, ob die christliche Mission gut daran tut, grundsätzlich und rigide die Einehe durchsetzen zu wollen. Sollte etwa der alte Mann vier Frauen in die Ungesichertheit entlassen, um nur eine als Ehepartnerin zu behalten? Immerhin hatten auch die Stammväter Israels nach altorientalischer Sitte mehrere Frauen. Das
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