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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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in der sich mit raffinierten Methoden Phasen und Perioden aus Schichten und Strukturen ablesen ließen. Nein, es geht auch bei den »vorgeschichtlichen« (weil nicht schriftlich festgehaltenen) Naturreligionen um Menschheitsgeschichte , wobei wir freilich das Leben, das Denken und die Religion jener Menschen der Frühzeit nur aus höchst spärlichen und schwer zu interpretierenden Dokumenten wie Knochen, Werkzeugen, Grabfunden und Felszeichnungen rekonstruieren können.
    Afrikas dynamische Geschichte
    Afrika hat in der alten und mittleren Steinzeit mit der Entwicklung der übrigen Kontinente durchaus Schritt gehalten. Das belegen immer mehr verfeinerte Steinwerkzeuge und später auch Felszeichnungen. Aber: ab ungefähr 6000   v.   Chr. schnitten eine Klimaveränderung großen Stils und die Austrocknung der Sahara Schwarzafrika fast völlig von der Mittelmeerregion ab. Fragt man die Nomaden der Sahara, in der ähnliche, aber nicht datierbare Geröllwerkzeuge gefunden wurden, wem sie denn die steinernen Pfeilspitzen, Faustkeile, Reibplatten, all die vorgeschichtlichen Gegenstände und Felsbilder zuschreiben, geben sie als Antwort: »den Menschen des Morgens« . Diese lebten teilweise noch in einer Zeit, da die Sahara ein mediterranes Klima und eine reiche Vegetation aufwies.
    Heute aber ist die Sahara die spektakulärste Wüste der Erde, bedrohlich durch extreme Wasserknappheit, durch Sand, Wind und Temperaturunterschiede von mehr als 50 Grad Celsius zwischen Tag und Nacht. Geblieben sind von den »Menschen des Morgens« vor allem Felszeichnungen von großer Schönheit und Kunstfertigkeit, nachzulesen im »Bericht über ein verlorenes Paradies«, so der Untertitel zu einer eindrucksvollen Dokumentation »Zehntausend Jahre Sahara« (1984). In diesem Band berichten die Sahara-Forscher HENRI HUGOT und MAXIMILIEN BRUGGMANN von jenen afrikanischen Künstlern verschiedener Herkunft, die am Beginn der Jungsteinzeit auftauchten und für ihre Darstellungen großflächige Felswände bevorzugten. Doch mit dem Aufhören der Niederschläge war der allesdurchdringende, alles verwüstende Sand gekommen, die grausame Krankheit der Sahara, die diese Kulturen von dem Augenblick an veränderte, als die Religionen begannen, ihre wesentliche Aufgabe in der vorbeugenden Beschwörung der immer geringeren Fruchtbarkeit zu sehen. Ich habe es selber schon 1955 auf der Fahrt von Tunis in die Sahara-Oase Tozeur erfahren, als plötzlich alle Fenster des Autobusses geschlossen werden mussten: Kein Schneesturm kann unseren Augen so zusetzen wie ein Sturm aus Myriaden von Sandkörnern.
    So schwierig die Tausende von Felszeichnungen der »Menschen des Morgens« zu deuten sind und so wenig wir von den Glaubensformen der vorgeschichtlichen Afrikaner wissen: man geht – bei der Allgegenwärtigkeit der Magie in der Jungsteinzeit – kaum fehl in der Annahme, dass gerade die anspruchsvolleren künstlerischen Formen über die bloße Funktionalität hinaus symbolische und magische Bedeutung haben. Woraus folgt, dass »die Angst vor der Trockenheit, die sich in der Beschwörung der Fruchtbarkeit äußerte, Grundlage eines ersten religiösen Kultes ist, wenn man den Begriff Religion auf diese ersten tastenden Versuche, die unbekannten und die weltregierenden Mächte gnädig zu stimmen, anwenden darf« (»Zehntausend Jahre Sahara«, S. 119).
    Schon früh habe ich mir auch den prachtvollen Bildband von ANDRÉ LEROI - GOURHAN »Prähistorische Kunst« (1971) zugelegt. Die weitere Entwicklung dieser frühen Kulturen – wie weit es etwa schon damals in den verschiedenen Gebieten zum Übergang zu Viehzucht und Ackerbau, zu Dorfanlagen und Sippen- wie Stammesverbänden kam – braucht uns hier nicht zu beschäftigen. Das Gesagte reicht aus, um die hohe Kultur- und Entwicklungsfähigkeit auch der schwarzafrikanischen Völker schon für die Frühzeit zu belegen und den Eindruck des Statisch-Stagnierenden dieser Kultur zu zerstreuen. Der Eindruck historischer Passivität der schwarzafrikanischen Völker täuscht also; auch die Geschichte Afrikas manifestiert, wie wir noch weiter sehen werden, eine progressive Dynamik.
    Doch lange Zeit ist Afrika – viel mehr als Asien und Amerika – selbst für Historiker der unbekannte, dunkle Kontinent, dem man mit Ignoranz und Arroganz begegnet und von dem man sich phantastische Vorstellungen macht. Jahrhundertelang ist der ganze Kontinent (mit Ausnahme nur sehr weniger Länder) in den Händen europäischer Kolonialmächte,

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