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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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die alte Stammeskultur sich rasch auflösen wird, dass die traditionelle afrikanische Religiosität ihre Bedeutung völlig verliert, das erwartet hier niemand. Afrikanisches Denken, afrikanische Religiosität wird uns vielmehr auch in Zukunft etwas zu sagen haben.«
    Eine prophetische Rolle ist in dieser epochalen Übergangssituation gerade von den christlichen Kirchen gefordert. Erfreulicherweise haben die katholischen Bischöfe Afrikas schließlich doch anlässlich einer Synode im Vatikan im Oktober 2009 ein deutliches Wort zur Lage ihres Kontinents gewagt. Sie wenden sich nicht nur gegen die kriminelle Umweltzerstörung, die Intoleranz zwischen Religionen und Konfessionen und die Kriege zwischen Volksgruppen. Sie wenden sich auch deutlich an die katholischen Politiker in Afrika mit klaren Anspielungen auf den autoritären Regenten Mugabe. Die Bischöfe verlangen, dass Staatsmänner, die christliche Lehren in ihrer öffentlichen Tätigkeit nicht umsetzen, wieder die öffentliche Arena verlassen und aufhören, »zum Ruin des Volkes beizutragen«. Die zweifellos noch immer feststellbaren Folgen von Sklaverei und Kolonialismus dürften nach so vielen Jahrzehnten nicht noch länger als Vorwand für eigene Passivität missbraucht werden.
    Der afrikanische Kontinent ist nach wie vor massiv bedroht durch Überbevölkerung. Leider waren aber auch noch 2009 die unter vatikanischer Oberaufsicht tagenden Bischöfe blind für die verhängnisvollen Auswirkungen der rasanten Bevölkerungsexplosion auf Armut, Schulbildung und Frauenwürde. Ganz auf römischer Linie polemisieren manche von ihnen gegen dringend notwendige familienplanerische Maßnahmen. Sie lehnen beim Thema Aids erneut die Kondome ab, welche die Immunschwächekrankheit angeblich doch nicht verhindern könnten. Dafür empfehlen sie in illusionärer Weise Keuschheit und eheliche Treue als einzige Mittel gegen die Ausbreitung von Aids.
    Auf meiner Afrikareise 1986 werde ich in Begleitung von Kirchenleuten in Kenias Hauptstadt Nairobi durch einen unübersehbar großen und schrecklichen Slum geführt: primitive Hütten, viel Dreck und Gestank, keine sanitären Einrichtungen. Unzählige Kinder, kaum bekleidet, krabbeln auf dem Lehmboden herum, Kinder ohne Zukunft. Wie kann man denn angesichts dieses ganzen Elends noch wie Papst Johannes Paul II. im selben Nairobi predigen: »Wachset und mehret Euch!«? Ein Papst, der die Möglichkeit einer humanen Verkündigung verpasst, macht sich mitschuldig an der Überbevölkerung und dem daraus sich ergebenden Elend. Da hilft es auch wenig, wenn des polnischen Papstes deutscher Nachfolger den Kondomgebrauch in Einzelfällen Homosexuellen zugesteht. Auch in der Kirche gibt es offensichtlich »Autokraten« (Selbst- oder Alleinherrscher), die meinen, auf niemanden hören zu müssen, jedermann aber belehren zu können.
    Demokratie setzt sich durch: Nyerere
    Zu meiner Freude wird als Vorbild für afrikanische Staatsmänner immer wieder jener Mann genannt, den ich wegen seiner moralischen Integrität und Bescheidenheit hoch schätzte und auch persönlich kennenlernen durfte: JULIUS NYERERE , Staatspräsident von Tansania, ein Häuptlingssohn und Lehrer, der in Edinburgh studiert hatte. Er führt Tanganjika und Sansibar zur Vereinigten Republik von Tansania zusammen. Er verfolgt eine Politik von »Sozialismus und Eigenständigkeit« (»Ujamaa«). Allerdings macht er nicht sehr erfolgreiche Konzessionen an den Zeitgeist, als er eine sozialistische Form der Landwirtschaft mit den traditionellen Lebens- und Arbeitsweisen der afrikanischen Großfamilie zu verbinden trachtet. Doch bleibt er ein wichtiger Wortführer der blockfreien Dritten Welt, der die antikolonialen Befreiungsbewegungen unterstützt, aber sein Land vom Einfluss der Sowjetunion frei hält.
    Als ich am 19. Februar 1986 in der faktischen Hauptstadt Tansanias, Daressalam am Indischen Ozean, eintreffe und im Goethe-Institut vor rund 500 Zuhörern – darunter viele Geistliche und Ordensschwestern – einen Vortrag über »Christianity and Islam« halte, überrascht mich die deutsche Botschafterin, CHRISTEL STEFFLER , mit einer Einladung Präsident Nyereres zu einem Gespräch. Dies freut mich außerordentlich, hat aber einen Haken: Nyerere hält sich in seiner Residenz in der neuen Hauptstadt Dodoma im Zentrum des Landes auf – etwa 500 Autokilometer entfernt. Das ist bei meinem engen Zeitplan und den schon eingegangenen Verpflichtungen keinesfalls zu schaffen. Doch die

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