Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
Vom Netzwerk:
Grundprinzipien formuliert, die auch an der Basis des Weltethos liegen, das Humanitätsprinzip: »Jeder Mensch soll wahrhaft menschlich behandelt werden« und das Gegenseitigkeitsprinzip oder die Goldene Regel: »Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg auch keinem anderen zu«. Von diesen beiden Grundprinzipien war schon auf den beiden Konferenzen über die traditionelle chinesische Ethik und ein Weltethos 1997 und 2001 in Peking ausführlich die Rede. Sie sollen für ein gelingendes Miteinander wieder neu bewusst gemacht werden.
    Die Idee eines gemeinsamen Menschheitsethos stellt ein modernes Echo besonders auch auf die alten Weisheiten Chinas dar. Es ist kein Import aus dem Westen, kein eingeführtes heterogenes Denksystem. Vielmehr kann es in China als Erweckung des in der eigenen chinesischen Tradition gegebenen Erbes verstanden werden. Es gibt ja heute eine Suche nach der menschlichen Basis der Werte, die man als »tong« , das Gemeinsame der verschiedenen Kulturen, bezeichnen kann. Dies soll den einzelnen Personen wie auch den Institutionen zum Bewusstsein gebracht werden. Aber dabei soll keine »Einheit« der Religionen und keine »Verschmelzung« der Kulturen angestrebt werden. Im Gegenteil: die eigene Charakteristik der betreffenden Religion und Kultur soll bewahrt und jegliche Uniformierung vermieden werden. Auf diese Weise kann die Idee des Weltethos zum Träger des Ideals der »großen Harmonie« ( da tong ) werden, die im Kontext auch der Weltkulturen, der Weltpolitik und der Weltwirtschaft zur Geltung zu bringen ist. So wird die uralte Weisheit Chinas im Fokus des Weltethos wiederbelebt!
    Aber nun bin ich, in diesem Kapitel IX ganz auf China konzentriert, der welthistorischen Entwicklung, die ich nur am Rande streifen konnte, weit vorausgeeilt. Den Begriff des Weltethos habe ich eingeführt, ohne auf den komplexen Entstehungsprozess des Projekts Weltethos einzugehen. Das soll nun im folgenden Kapitel ausführlich geschehen, in welchem sich zugleich einige der bisherigen Erkenntnisse aus der Beschäftigung mit den Weltreligionen bündeln werden.

X. Das Projekt Weltethos: ein Ethos für die Menschheit
    »So ist der ewige Friede, der auf die bisher fälschlich sogenannte -Friedensschlüsse (eigentlich Waffenstillstände) folgt, keine leere Idee, sondern eine Aufgabe, die, nach und nach aufgelöst,
ihrem Ziele (weil die Zeiten, in denen gleiche Fortschritte geschehen,
hoffentlich immer kürzer werden), beständig näher kommt.«
    Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden (1797)
    1989 : Am 9. November fällt die Berliner Mauer – Symbol der Unmenschlichkeit, des Totalitarismus und Staatsterrorismus. Die erfolgreichen friedlichen Revolutionen in Osteuropa führen zum Kollaps des Sowjetkommunismus. Für November 1989 hatte ich schon des Längeren Einladungen zu Vorträgen in den Niederlanden angenommen und versprochen, sie auf Holländisch zu halten. Am Montag, den 6. November, spreche ich an der Freien Universität Amsterdam über »Religionen im Wandel der Zeit«, am nächsten Vormittag dann über »Kein Weltfriede ohne Religionsfriede«. Am selben Tag fahre ich weiter nach Kampen, wo ich am folgenden Vormittag bei meinem Verlag Kok (später Uitgeverij Ten Have) einen Vortrag halte. Am selben Abend des Mittwochs, 8. November, spreche ich an der Katholischen Universität Nijmegen. Der Donnerstag, 9. November 1989 , aber wird uns als welthistorisches Datum in Erinnerung bleiben. In den vergangenen Tagen und Wochen habe ich die dramatischen Entwicklungen in der DDR verfolgt. Aber ich kann nicht ahnen, was an diesem 9. November abends passieren wird: Zur gleichen Zeit, als ich meinen Vortrag in der Katholischen Universität Brabant in Tilburg halte, wird in Berlin quasi durch ein Versehen die Mauer geöffnet und damit das Ende des kommunistischen Regimes eingeleitet. Um 22.30 Uhr lasse ich mich in meinem Auto vom bewährten Taxifahrer Hans Aichele von Tilburg nach Tübingen fahren, wo wir um 3.30 Uhr eintreffen. Ich hatte schon im Auto Gelegenheit, die Ereignisse am Radio mitzuverfolgen.
    Der Fall der Mauer weckte ungeheure Erwartungen auf eine friedlichere Welt. Nach dem Golfkrieg 1990/91 kündigt der amerikanische Präsident GEORGE BUSH SEN. einen »New World Order« an und findet mit dieser Parole ein enthusiastisches Echo in der Welt. Aber Bush hat wenig Ahnung, wie dieses in Verlegenheit »vision thing« genannte Paradigma aussehen sollte. Folglich, anders als versprochen, keine Demokratie in

Weitere Kostenlose Bücher