Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
doch als nicht überzeugend ab. Dabei gestehe ich gerne ein, dass ich im Blick auf mein eigenes gelebtes Leben mit all seinen Leiden und Schmerzen trotz aller Erfolge nicht die geringste Lust verspüre, in irgendeiner Form in dieses, bei allem Glück doch immer wieder leidvolle Leben zurückzukehren. Auch Buddhisten und Hindus möchten ja schließlich aus diesem »Samsara«, diesem leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten, aussteigen und in das »Nirvana« hinein »verlöschen«, das jedoch auch von den meisten Buddhisten nicht nihilistisch, sondern als höchste Wirklichkeit und Seligkeit verstanden wird …
So habe ich denn in meinen ersten drei Vorlesungen den »Horizont« der Frage nach dem ewigen Leben abgesteckt, um in den drei folgenden unter dem Titel »Die Hoffnung« die biblische Botschaft darzulegen, wobei ich mich vielfach an mein Buch »Christ sein« halten kann: Der Auferweckungsglaube im Judentum – eine späte Erscheinung. Das älteste Osterzeugnis und seine Entwicklung. Das Verständnis von Auferweckung nicht als Wiederbelebung meines Leichnams als einer physikalischen Größe, sondern als Eingehen meiner ganzen endlichen Person in die Unendlichkeit und Ewigkeit Gottes, der das unaussprechliche Geheimnis unserer Wirklichkeit ist. Der Glaube an ein ewiges Leben ist für mich eine Konsequenz aus dem Glauben an den ewig lebendigen Gott. Aber auch Aussagen des Glaubensbekenntnisses über Jesus, hinabgestiegen in das Reich des Todes, aufgefahren in den Himmel, behandle ich und bin mir bewusst: Wären diese Vorlesungen nicht 1982, zwei Jahre nach der großen Konfrontation mit Rom, sondern vorher veröffentlicht worden, so hätten sicher manche meiner Auffassungen die Inquisition erneut auf den Plan gerufen: etwa die von der leiblichen Auferstehung , die geistig zu verstehen ist, oder die vom »Fegefeuer« , das nicht lokal, sondern symbolisch interpretiert werden soll, oder die von der Hölle , die auch nach dem biblischen Zeugnis nicht als ewig im chronologischen Sinn angesehen werden darf.
Der dritte Teil meiner Vorlesungen betrifft »die Konsequenzen« eines Glaubens an ein ewiges Leben. Darüber habe ich schon im Zusammenhang meines Vortrags vor dem Europäischen Radiologenkongress in Hamburg 1979 berichtet (Bd. 2, Kap. X: Für eine Medizin der Menschlichkeit); auf die Fragen der Sterbehilfe werde ich im Zusammenhang einer Spezialvorlesung über »Menschenwürdiges Sterben« später zurückkommen. Zum Abschluss dieser Vorlesungsreihe unterwerfe ich Ideologien, die den Menschen den Himmel auf Erden versprechen, der Kritik und behandle sowohl die physikalischen Theorien als auch die biblischen Aussagen vom Weltende. Damit ist der Kreis dieser höchst verschiedenartigen Themen unter der Überschrift »Ewiges Leben?« geschlossen.
»Glaubst du eigentlich an das Leben nach dem Tod?«, fragt mich noch vor Kurzem ganz ernsthaft eine meiner Schwestern. »Ja«, antworte ich mit Überzeugung, aber nicht weil ich in meinem schon bald nach den Vorlesungen (1982) veröffentlichten Buch dieses Leben nach dem Tod rational bewiesen hätte. Sondern weil ich mir dieses vernünftige Vertrauen auf Gott bewahrt habe und im Vertrauen auf den ewigen Gott auch auf mein eigenes ewiges Leben vertrauen darf. Dafür habe ich gute Gründe. Und mir macht es Freude, dass diese Vorlesungen im Jahr 2008, meinem 80. Lebensjahr, bereits in der 10. Taschenbuchauflage erschienen sind und offenkundig vielen Menschen helfen. Ich habe in all den Jahren meine Grundüberzeugung nicht geändert. Doch gebe ich zu, dass neue Teleskope und Forschungen in die unendlichen, dunklen und leeren Weiten des Kosmos mit Milliarden von Sternen mir diesen Glauben nicht leichter gemacht haben.
Eine andere Beobachtung in diesem Zusammenhang: Als ich meine möglicherweise letzte Predigt in der Pfarrkirche Sursee am 19. August 2012 über den »Himmel des Glaubens« vorbereite, erinnere ich mich an eine meiner ersten Predigten in der Hofkirche zu Luzern zu exakt demselben Thema. Ich finde noch das alte Manuskript und bin total verblüfft: Die beiden handgeschriebenen Manuskripte gleichen sich so sehr, dass sie zur selben Zeit hätten geschrieben sein können. Faktisch aber stammt mein Luzerner Manuskript vom 17. November 1957 (mein Promotionsjahr), war also 55 Jahre älter als mein jetziges Manuskript. Niemand, dem ich diese beiden Manuskripte zum Vergleichen zeige, tippt richtig: Man errät nicht im Entferntesten den Unterschied der Jahre und hält
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