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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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und zwar nicht nur mit älteren, sondern auch vielen jüngeren Hörern und Hörerinnen.
    Plädoyer für Selbstverantwortung auch im Sterben
    Walter Jens beschreibt eindrucksvoll anhand zahlreicher Beispiele aus der Literatur Würde und Würdelosigkeit des Sterbens. Er geht aus vom elenden Sterben Jesu von Nazaret und betrachtet das Sterben von Hektor bei Homer, der Alkestis bei Euripides und dann des Iwan Iljitsch bei Tolstoi. Der Vortrag gipfelt in den Aufzeichnungen vom eigenen Sterben des Schweizer Juristen PETER NOLL und in den realistischen Berichten des Chirurgen SHERWIN B. NULAND von der Yale University »Wie wir sterben«.
    Die furchtbar realistischen Sterbeberichte lassen Jens schließlich feststellen: »Millionen von Menschen könnten, wie Hans Küng und ich, gelassener unserer Arbeit nachgehen, wenn wir wüssten, dass uns eines Tages ein Arzt zur Seite stünde: kein Spezialist, sondern ein Hausarzt wie Dr. Max Schur es war, einer der bewundernswertesten Männer dieses Jahrhunderts, der nicht zögerte, seinem Patienten Sigmund Freud die tödliche Morphium-Dosis zu geben – freilich: erst nach vielen mit beispielloser Courage ertragenen Operationen und bei vollem Bewusstsein auf sich genommenen Qualen …« So dann gedruckt in unserem gemeinsamen Buch »Menschenwürdig sterben«, mit dem Untertitel »Ein Plädoyer für Selbstverantwortung«, das im folgenden Jahr 1995 veröffentlicht wird. 3
    Ich argumentiere in meiner Vorlesung wie in unserem Buch betont theologisch: Nach meiner christlichen Überzeugung ist das menschliche Leben, das der Mensch ja nicht sich selber verdankt, letztlich eine Gabe Gottes. Aber als solche ist das Leben nach Gottes Willen auch des Menschen Aufgabe! Es ist daher in meine eigene (nicht fremde!) verantwortliche Verfügung gegeben . Dies gilt auch für die letzte Etappe des Lebens, das Sterben. Sterbehilfe ist also ultimative Lebenshilfe.
    Aber, fragt man mich, muss nicht jeder Mensch bis zum »verfügten Ende« durchhalten und darf sein Leben nicht »vorzeitig« zurückgeben? Meine Gegenfrage: Wo hat denn der gute Schöpfergott eine Reduktion des menschlichen Lebens auf ein rein biologisch-vegetatives Leben »verfügt«? Nein, die frei verantwortete Rückgabe eines definitiv zerstörten Lebens unter unerträglichem Leiden ist nicht »vorzeitig«. Der Tod ist nicht immer der Feind des Menschen.
    Schon anlässlich der Einladung von Dr.  ELISABETH KÜBLER-ROSS hatte ich mich nachdrücklich für die Hospizbewegung ausgesprochen, bei der nicht das medizinische Bemühen um Heilung, sondern die persönliche Zuwendung durch Gespräch und das Bemühen um würdiges Sterben im Mittelpunkt stehen. Doch sind auch in der Hospizbewegung manche, die sich der Frage des selbstverantworteten Sterbens nicht von vornherein verschließen und so erfahren haben, dass es Menschen gibt, die aufgrund ihres elenden Zustandes trotz aller Zuwendung wirklich sterben wollen. Und die Palliativmedizin ? Selbstverständlich muss sie mit allen Mitteln gefördert werden. Schmerztherapie kann vielen unheilbar Kranken ihr Endstadium erträglich machen. Aber – man sollte es nicht verschweigen – sie ist nicht die Antwort auf alle Sterbewünsche. Schmerzen können Schwerstleidenden nicht in jedem Fall genommen werden – außer man nimmt einem solchen Patienten alle Wachheit (Vigilanz) und macht ihn willen-, ja bewusstlos.
    Die Diskussion, die Walter Jens und ich acht Tage später im selben Hörsaal führen, mit dem Chefarzt der Kinderklinik DIETRICH NIETHAMMER und dem Juristen ALBIN ESER , die beide ausführliche Statements abgeben, verläuft vornehm, sachlich und freundlich. Aber ich spüre die Stimmung im Saal und ein bestimmtes Feld im Zuschauerraum, das konservativen Ansichten demonstrativ Beifall spendet. Immerhin können Jens und ich unseren Standpunkt in Ruhe vertreten und aufrechterhalten.
    Anders aber kommt es dann sieben Jahre später in einer Diskussion im Jahr 2001 im selben Hörsaal auf Einladung unserer Lokalzeitung »Schwäbisches Tagblatt« mit der aus Tübingen stammenden damaligen Bundesjustizministerin Dr.  HERTA DÄUBLER-GMELIN . Zur Vorbereitung hatte ich meinen Standpunkt in 20 genau begründeten Thesen »Sterbehilfe? Thesen zur Klärung« genau dargelegt und in der Zeitung veröffentlicht. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass die ohnehin zur Besserwisserei neigende Juristin und Ministerin diese Argumente wirklich zur Kenntnis genommen hat. Jedenfalls wiederholt sie die üblichen

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