Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
nichts anderes als »in die Hölle kommen«.
Dieser Vorstellung hat mein Kollege und Freund Professor HERBERT HAAG schon früh im katholischen Raum den Kampf angesagt mit seiner Schrift »Abschied vom Teufel« (1969) und damit selbstverständlich Schwierigkeiten mit der Inquisition bekommen. Mein Standpunkt in dieser Frage ist differenziert: Ich glaube wie Herbert Haag nicht an überall wirksame teuflische Geistwesen. Doch ich hätte gern gesehen, dass er den Kontrapunkt deutlicher gesetzt hätte: Wie eine Personalisierung des Bösen so verharmlost nämlich auch eine Privatisierung des Bösen im einzelnen Menschen das Böse. Dieses muss ja zugleich als über-individuelle, strukturelle Macht verstanden werden, wie es gerade im Grauen des Nationalsozialismus und Stalinismus zum Ausdruck gekommen ist. Schon im Neuen Testament ist die Rede von »Mächten und Gewalten«, in der modernen Soziologie von »anonymen Mächten und Systemen«, welche die Bosheit verkörpern können. Das Böse ist jedenfalls wesentlich mehr als die Summe der Bosheiten der Individuen.
Eine »Teufelsangst« empfinde ich somit nicht, auch eine »Höllenangst« liegt mir fern. Allzu lange haben Höllenvorstellungen bei Sexual- und Schuldkomplexen, Sünden- und Beichtängsten mitgespielt. Die biblischen Höllenaussagen können heute verstanden werden als Bilder für die drohende Möglichkeit, dass ein Mensch seinen Lebenssinn völlig verfehlen kann. Doch schon Kirchenväter haben das Höllenfeuer metaphorisch verstanden, und in meinem Buch »Credo« über das Apostolische Glaubensbekenntnis, in dem sich bekanntlich kein Glaubensartikel über Teufel und Hölle findet, habe ich ausgeführt, dass die »Ewigkeit« der Höllenstrafe im Widerspruch zu Gottes Liebe und Barmherzigkeit steht.
»Er fürchtet weder Tod noch Teufel«, heißt es sprichwörtlich vom Draufgänger. Nein, ich fürchte nicht den Teufel, dieses Symbol des Bösen – aber vielleicht doch den Tod? Jedenfalls hoffe ich, nicht in »Teufels Küche zu geraten«, wenn ich meine Autobiographie an diesem Punkt nicht abbreche, sondern auch über die letzte Phase meines Lebens und die »Letzten Dinge« berichte in der Wahrhaftigkeit, die der Teufel – der »Vater der Lüge« (Jo 8,44) – fürchtet wie das Weihwasser, weil sie die Wahrheit ans Licht bringt.
Vorboten des Todes
Zur Menschlichkeit gehört wesentlich die Sterblichkeit. Und das Altern beginnt schon mit der Geburt, sagen uns Biologen. Aber was da altert und schließlich stirbt, wird in jungen Jahren ganz leicht ersetzt und wächst von selber nach. Doch es kommt die Zeit, wo eine Regeneration der einzelnen Zellen und Organe nicht mehr so leicht erfolgt. Ich weiß nicht, wer es mir vor einiger Zeit vorausgesagt hat: Bis zum 80. Geburtstag gehe alles relativ prächtig, aber aufgepasst, im neunten Jahrzehnt häufen sich die Altersbeschwerden. Jedenfalls verstehe ich sofort, was mir im Juni 2012 der bedeutende Historiker FRITZ STERN als Gruß humorvoll am Schluss seines liebenswürdigen Briefes schreibt und was ich als Motto über dieses letzte Kapitel meines Lebens gesetzt habe: »Mir geht es im Ganzen gut, den Altersbeschwerden noch besser.«
Ich halte nichts von der Werbeparole »young forever« und von »Anti-Aging-Kursen«. Am Älterwerden – und es ist körperlich zunehmend beschwerlich – kommt noch immer kein Mensch vorbei. Doch so vieles erleichtert unserer Generation die Last der Jahre. Man sollte sich nicht grämen, sondern selbstverständlich dazu stehen, dass man jetzt eine Brille, ein Hörgerät, eine Prothese oder sonstige Hilfsmittel tragen muss. Vor allem die Errungenschaften der Medizin und Pharmazie helfen älteren Menschen, aber auch bessere Wohnverhältnisse und Reisemöglichkeiten. Doch: trotz aller Hilfen und Medikamente werden unsere Organe schwächer, und unser Körper ist uns nicht mehr so zu Diensten wie in früheren Jahren.
Besonders das täglich strapazierte Knochengerüst zeigt an neuralgischen Punkten Schwächen und manchmal auch Schmerzen. Seit der Menschwerdung aus der Tierwelt ist der Mensch ausgezeichnet durch den aufrechten Gang. Was aber musste mein Rückgrat durch all die Jahre aushalten an täglichem stundenlangem Sichbeugen über den Schreibtisch, aber auch an außerordentlichen Herausforderungen wie Bücherkofferschleppen oder Skifahren? Alles hat es lange Jahre klaglos geleistet, bis eben die Zeit kam, da es seine Schwäche schmerzhaft anmelden musste. Eine genaue Untersuchung beim
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