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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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dement!« Meine spontane Reaktion ist: »Das hat er/sie nicht verdient. Nicht vorstellbar!« Aber wie da vorbeugen? Meine »kristalline« Intelligenz, die meinen ganzen Erfahrungsschatz verwaltet, habe ich gut bewahrt und auch in diesen Memoiren bezeugt. Aber meine »fließende« Intelligenz wird gespeist von den Tagesereignissen, die kommen und gehen. Und mehr denn je sind sie der Selektion ausgesetzt, die mir auch nicht mehr ermöglicht, zwei oder drei Dinge gleichzeitig zu tun, wie ich das früher ganz selbstverständlich praktizierte.
    Wie lange soll das so weitergehen?, frage ich mich immer wieder. Beim letzten Rotary-Meeting in Sursee sitze ich am Tisch mit einem jüngeren Arzt, der schon seit längerer Zeit an Parkinson erkrankt ist und von dem es heißt, er käme mit seinen Medikamenten ganz gut damit zurecht. Aber mein Erschrecken jetzt am Tisch ist groß: Ständig zeichnet er auf einem Papier und redet unaufhörlich auf seinen Nachbarn ein, ohne dass dieser ihn versteht. Ob ich wohl auch in absehbarer Zeit in solchem Zustand an Meetings teilnehmen soll? Auf keinen Fall. Zur gleichen Zeit, zur Eröffnung der Londoner Olympiade 2012, wird am Fernsehen MOHAMMED ALI , der berühmteste Boxer, ebenfalls von Parkinson befallen, der ganzen Welt vorgeführt: stier und stumm, zum Erbarmen. Soll ich vielleicht demnächst auch als ein solches »Vorbild« präsentiert werden?
    Mir soll Ähnliches nicht geschehen. Wie lange also soll mein Leben menschenwürdig lebbar bleiben? Ich lebe jetzt bewusster denn je: Ich weiß, was für eine kostbare, geschenkte Zeit es ist. Aber eines weiß ich auch: Ich will nicht als Schatten meiner selbst weiterexistieren.
    Selbstverantwortung konkret
    Ich will auch nicht in ein Pflegeheim abgeschoben werden, sondern zu Hause, in Tübingen oder in Sursee, sterben. Ich möchte nicht jahrelang – wie mein Jahrgangsgenosse, der israelische General und Premierminister ARIEL SCHARON , seit 2006 – im künstlichen Koma liegen; künstliche Ernährung lehne ich ab. Und soll ich gar noch wie der ebenfalls an Parkinson erkrankte Papst KAROL WOJTYŁA , statt zugunsten eines Nachfolgers endlich zurückzutreten, mein Sterben in aller Öffentlichkeit zur Schau stellen? Bei einem Staatsmann würde man solches als peinlich und abstoßend empfinden. Viele empfinden bei einem Papst ähnlich.
    Um dann das Problem in globaler Perspektive zu betrachten: Oktober/November 2012 wieder in China , bin ich auf Schritt und Tritt mit dem Problem von Überbevölkerung und Überalterung konfrontiert. Da frage ich mich immer wieder, wie man denn in diesem Volk von 1,2 Milliarden Menschen mit den zunehmenden Millionen von todkranken und dementen Menschen zurechtkommen soll, vor allem in den ständig anschwellenden städtischen Agglomerationen, wo der traditionelle Familienzusammenhalt nicht mehr existiert. Und stellt sich dasselbe demografische Problem nicht auch in den anderen Kontinenten?
    Natürlich kann ich verstehen, dass man in Deutschland , wo das verbrecherische Nazisystem Tausende von Menschen als »lebensunwertes Leben« eingestuft und der Vernichtung anheimgegeben hat, beim Thema Sterbehilfe höchst zurückhaltend ist. Aber ich verstehe nicht, dass man gerade in einem solchen Land ins andere Extrem verfällt und die kriminell organisierte Massen- und Zwangstötung auf dieselbe Ebene stellt wie das Verlangen vieler leidender Menschen nach barmherziger Sterbehilfe. Und noch weniger verstehe ich, dass man gerade in einem Land mit dieser Vergangenheit sich gegenüber anderen Ländern (Niederlande, Belgien, Schweiz, einzelne amerikanische Bundesstaaten) moralisierend wieder einmal aufs hohe Ross setzt und gegen den selbst verschuldeten »Sterbetourismus« hetzt, gleichzeitig jedoch alle Ansätze zu einer konkreten gesetzlichen Lösung des Problems Sterbehilfe verhindert. Welche Scheinheiligkeit! Es sind jedoch nicht einfach »die Deutschen«, die eine echte Sterbehilfe ablehnen. Im August 2012 bejahten 77   Prozent der befragten Deutschen die Frage: »Sollte es Ärzten grundsätzlich erlaubt sein, Schwerstkranke beim Freitod zu unterstützen?« Nur 19   Prozent antworteten mit Nein. 69   Prozent sind für die freie Gewissensentscheidung der Ärzte. 10
    Selbstverständlich nehme ich die Argumente der Neinsager ernst und bejahe eine differenzierte Beurteilung. Der Leser mag hier vielleicht noch einmal meine obigen Abschnitte über Palliativmedizin und Hospizbewegung lesen oder noch besser im Buch Jens/Küng

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