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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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»Menschenwürdig sterben« meine in der erweiterten Auflage von 2009 hinzugefügten auf Detailfragen eingehenden Thesen konsultieren. Sie widerlegen selbsternannte »Lebensschützer«, die unbefugt über Leben und Sterben anderer befinden wollen. Es sind vor allem bestimmte Ärztefunktionäre, Parlamentarier bestimmter Parteien und natürlich katholische Amtsträger und deren Propagandisten, die meinen, über Zeitpunkt und Art des Sterbens anderer Menschen entscheiden zu können und zu dürfen. Über ihr eigenes Sterben mögen sie befinden, über das anderer Menschen nicht.
    Und wo steht denn geschrieben, dass der Mensch für seine letzte Lebensphase die verantwortliche Verfügung verlöre? Nirgendwo liest man in der Bibel, dass der Mensch bis zum »verfügten Ende« durchhalten müsse oder dass die Reduktion des menschlichen Lebens auf ein biologisch-vegetatives Leben »verfügt« wäre und so die Rückgabe eines zerstörten Lebens unter unerträglichen Leiden »vorzeitig« wäre.
    Ein Recht auf Weiterleben meint keineswegs in jedem Fall Pflicht zum Weiterleben. Gewiss, »Mit letzter Kraft voran«, so habe ich den Abschnitt über das Sterben EDWARD KENNEDYS überschrieben. Doch heißt dies nicht, dass ein Mensch in einer anderen Situation sein Leiden nicht abkürzen dürfe, wie dies die schwer kranke JACQUELINE KENNEDY , die Frau des Präsidenten, allem Anschein nach getan hat. Nach ihrem Tod erklärte ihr Sohn John, sie sei gestorben »in her own way and on her own terms – auf ihre Weise und zu ihren Bedingungen«.
    Man sollte die Augen nicht vor den Tatsachen verschließen: Suizide sind auch in Deutschland kein Randphänomen. Für das Jahr 2010 zählte das Statistische Bundesamt rund 10.000 Selbsttötungen. Das sind ungefähr dreimal so viele Tote wie durch Verkehrsunfall. Die Dunkelziffer dürfte noch erheblich höher sein, da viele Suizide als Unfälle getarnt oder schlicht verschwiegen werden. In Europa begehen nach WHO-Zahlen pro Jahr mehr als 120.000 Menschen Suizid. Weltweit dürfte die Zahl der Selbsttötungen auf rund eine Million gestiegen sein; Suizid zählt jedenfalls zu den 20 häufigsten Todesarten. Und alle diese Menschen soll man in alle Zukunft ohne medizinische wie psychologische Hilfe und ohne geistlichen Trost lassen?
    »Alles hat seine bestimmte Stunde, jedes Ding unter dem Himmel hat seine Zeit. Geboren werden hat seine Zeit und Sterben hat seine Zeit« (Kohelet 3,1 f.). Der Mensch hat ein Recht zu Sterben, wenn er keine Hoffnung mehr sieht auf ein nach seinem ureigenen Verständnis humanes Weiterleben; wenn sich der Sinn seines Lebens erfüllt hat und der Tod gewünscht wird. Er selber und nicht ein anderer Mensch, eine andere Autorität oder Organisation hat darüber zu entscheiden.
    Leider haben die Kirchen auch hier die Chance verpasst, der rasch zunehmenden Zahl von Sterbewilligen zu helfen. Viele nutzlose Mahnungen und theologische Ausflüchte von Kirchenmännern (selten Frauen). Man möchte hoffen, dass die Kirchen nicht für das Ende des Lebens ähnliche Fehlhaltungen einnehmen wie ehemals für den Lebensbeginn (Empfängnisverhütung!) und dass sie sich besser früher als später dazu entschließen, den Sterbewilligen eine würdige Sterbebegleitung (besser als nur eine »Letzte Ölung« oder Krankensalbung) anzubieten.
    Was mich betrifft: Die unbefriedigende Rechtslage in Deutschland, unter der so viele Menschen leiden, zwingt mich (und als Schweizer Staatsbürger mit doppeltem Wohnsitz ist es mir möglich), einer Sterbehilfe-Organisation in der Schweiz beizutreten. Damit darf ich freilich meine freundliche Bitte an diese Organisation verbinden, das bisher weithin vernachlässigte Motiv eines freiwilligen Sterbens aus einem (vernunftgemäßen, nicht vernunftwidrigen) Gottesvertrauen heraus zu beachten und es in gegebener Situation selber unvoreingenommen zur Sprache zu bringen. Doch was ist mit Sterben aus Gottesvertrauen konkret gemeint?
    Wie ich sterben möchte
    Früher sah ich den Tod von meinem Leben her, jetzt umgekehrt mein Leben vom Tod her. Ich weiß nicht, wann und wie ich sterben werde. Vielleicht werde ich plötzlich abberufen, und mir wird eine eigene Entscheidung erspart. Das wäre gut so. Aber für den Fall, dass ich selber über meinen Tod zu entscheiden habe, bitte ich darum, sich an meine Wunschvorstellung zu halten. Es soll nicht in einer eher tristen, trostlosen Atmosphäre geschehen (wie bisweilen in Fernsehberichten von Sterbehilfeorganisationen geschildert),

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