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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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einberief. Heute müsste vor allem die Richtung wieder klar sein: nicht eine restaurative Rückentwicklung in vorkonziliare Zeiten wie unter dem polnischen und dem deutschen Papst, sondern überlegte, geplante und gut vermittelte Schritte der Reform auf der Linie des Zweiten Vatikanischen Konzils.
    Eine dritte Frage stellt sich damals wie heute: Wird eine Reform der Kirche nicht auf ernsthaften Widerstand stoßen? Zweifellos wird der Papst damit mächtige Gegenkräfte vor allem im Machtbetrieb der römischen Kurie wecken, denen es standzuhalten gilt. Die vatikanischen Machthaber werden die seit dem Mittelalter angehäufte Macht kaum freiwillig aus den Händen geben.
    Wie stark der kuriale Druck sein kann, musste auch Franz von Assisi erfahren. Er, der sich in Armut von allem lösen wollte, hängte sich je länger desto mehr an die »heilige Mutter Kirche«. Nicht in Konfrontation mit der Hierarchie, sondern in Gehorsam gegenüber Papst und Kurie wollte er die Konformität mit Jesus leben: in gelebter Armut und mit Laienpredigt. Er lässt sich und seine Gefährten sogar durch die Tonsur in den Klerikerstand erheben. Dies erleichtert zwar die Predigttätigkeit, fördert jedoch die Klerikalisierung der jungen Gemeinschaft, die immer mehr Priester umfasst. So ist es denn nicht erstaunlich, dass die franziskanische Gemeinschaft immer mehr ins römische System integriert wird. Des Franziskus letzte Jahre wurden verdüstert durch die Spannung zwischen dem ursprünglichen Ideal der Nachfolge Jesu und der Angleichung seiner Gemeinschaft an den bisherigen Typus klösterlichen Lebens.
    Franziskus in Ehren: Am 3.   Oktober 1226 stirbt er so arm, wie er gelebt hat, erst 44   Jahre alt. Schon zehn Jahre zuvor war Papst Innozenz III., ein Jahr nach dem Vierten Laterankonzil, völlig unerwartet im Alter von 56   Jahren gestorben. Am 16.   Juli 1216 fand man die Leiche dessen, der Macht, Besitz und Reichtum des Heiligen Stuhls wie keiner vor ihm zu mehren wusste, in der Kathedrale von Perugia, von allen verlassen und völlig nackt, von seinen eigenen Dienern ausgeraubt. Ein Fanal für den Umschlag der päpstlichen Weltherrschaft in päpstliche Ohnmacht: am Anfang des 13.   Jahrhunderts der glorreich regierende Innozenz III., am Ende des Jahrhunderts der größenwahnsinnige Bonifaz VIII. (1294   –   1303), erbärmlich gefangen genommen, worauf das rund 70   Jahre dauernde Exil von Avignon und das abendländische Schisma mit zwei und schließlich drei Päpsten folgten.
    Keine zwei Jahrzehnte nach des Franziskus Tod scheint die in Italien sich rasch ausbreitende franziskanische Bewegung nahezu völlig von der römischen Kirche domestiziert, sodass sie bald der päpstlichen Politik als normaler Orden zu Diensten steht und sich sogar für die Inquisition einspannen lässt.
    Wenn es also möglich war, dass Franz von Assisi und seine Gefährten im römischen System schließlich domestiziert werden konnten, so kann selbstverständlich auch nicht ausgeschlossen werden, dass ein PAPST FRANZISKUS schließlich im römischen System eingefangen wird, das er reformieren sollte. Papst Franziskus: ein Paradoxon ? Ob sich Papst und Franz, offensichtliche Gegensätze, je versöhnen lassen werden? Nur durch einen evangelisch gesinnten Papst der Reformen. Unsere Hoffnung auf einen solchen Pastor angelicus sollten wir nicht zu früh aufgeben!
    Schließlich eine vierte Frage: Was tun, wenn uns die Hoffnung auf Reform von oben genommen wird? Die Zeiten sind jedenfalls vorbei, wo Papst und Bischöfe noch einfach mit dem Gehorsam der Gläubigen rechnen können. Ebenfalls durch die Gregorianische Reform im 11.   Jahrhundert wurde eine bestimmte Gehorsamsmystik in die katholische Kirche eingeführt: Gott gehorchen heiße der Kirche gehorchen, und das wiederum heiße dem Papst gehorchen, und umgekehrt. Seit dieser Zeit wurde der Gehorsam gegenüber dem Papst allen Christen als zentrale Tugend eingebläut; Befehl und Gehorsam zu erzwingen – mit welchen Mitteln auch immer! – wurde römischer Stil. Aber die mittelalterliche Gleichung »Gehorsam gegenüber Gott = gegenüber der Kirche = gegenüber dem Papst« widerspricht schon dem Wort der Apostel vor dem Hohen Rat zu Jerusalem: »Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.«
    Wir dürfen also keinesfalls in Resignation verfallen, sondern müssen angesichts mangelnder Reformimpulse »von oben«, von der Hierarchie her, entschieden Reformen »von unten«, vom Volk her , in Angriff nehmen. Wenn

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