Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
der angesehene Präsident der Catholic University of America, EDMUND PELLEGRINO , der am 14. Oktober 1981 seinen Rücktritt vom Amt bekannt gibt, das er erst drei Jahre zuvor übernommen hatte; ich werde auf einer Chinareise mit ihm zusammen sein.
Zu alldem passt schließlich auch, dass die hervorragende literarische und liberale katholische Zeitschrift »The Critic«, die während ihrer 40 Jahre zeitweise eine Auflage von 30.000 Exemplaren erreichte, auf 2000 Abonnenten abgesunken ist und ebenfalls im Oktober 1981 ihr Erscheinen einstellt. In der letzten Ausgabe sieht der Chefredakteur JOEL WELLS die Schuld bei einer wachsenden Abkehr gut gebildeter Katholiken vom ernsthaften intellektuellen Interesse an der Kirche. Ich kann dem nur zustimmen. Und Herausgeber DAN HERR , der alles getan hatte, um seine Zeitschrift zu retten, stellt mit irischer Ironie fest: »Wenn ich die Gefühle einiger Leser bereits gereizt oder verletzt habe, so war es nicht ohne Absicht« (16. 10. 1981).
Man will offensichtlich überall wieder eine römisch domestizierte, gezähmte Kirche: die Bischöfe wieder gehorsame Befehlsempfänger Roms, der Klerus widerspruchslos auf der römischen Parteilinie, die Laien untertänig und gefügig, über allem thronend »Seine Heiligkeit«, der Papst. Von einer vom Konzil geforderten Kollegialität, Dialogbereitschaft und ökumenischen Haltung ist keine Rede mehr.
Die Folgen dieses Systems sind verheerend. Vom schon damals vertuschten Sexualmissbrauch Jugendlicher durch Priester ist noch kaum die Rede. Rund 20 Jahre lang ignoriert Johannes Paul II. diese Krise, obwohl sich die Fälle häufen. Einen der schlimmsten Knabenschänder, P. MARCIAL MACIEL , Gründer der »Legionäre Christi«, der seine eigenen Seminaristen missbraucht und mit zwei Frauen liiert ist, betrachtet der Papst als seinen persönlichen Freund und nimmt ihn gegen alle Kritik in Schutz. Noch im Jahr 2002 erklärt Kardinal JOSEPH RATZINGER , der jeden Freitag die zahlreichen neuen Missbrauchsfälle vorgelegt bekommt (»unsere Freitagsbuße«), das sei ein amerikanisches Problem und statistisch unbedeutend. Unterdessen sind eine ganze Reihe unfähiger, aber regimekonformer Bischöfe ernannt worden. Ich denke etwa an EDUARD K. BRAXTON , der mir als sympathischer junger schwarzer Priester in Harvard aufgefallen war. Er wird später Bischof von Belleville/Illinois und errichtet dort ein tyrannisches Regime, sodass schließlich die Hälfte seiner Priester in einem in den Medien veröffentlichten großen Brief seine Demission fordert (»National Catholic Reporter« vom 2. 5. 2008). Aber überall gibt es auch kritische Gruppen von Katholiken, die sich zusammenfinden, um gegen tyrannische Bischöfe zu reagieren.
Eine reformwillige Opposition
Ein grelles Licht auf die gegenwärtige Situation wirft schon im November 1981 das fünfjährige Jubiläum des von Chicago ausgegangenen »Call to Action« , einer katholischen Erneuerungsbewegung, die sogar von den Bischöfen mitinitiiert worden war. In der neu entstandenen Situation wird sie wider Willen zu einem Sammelbecken für die reformwillige Opposition. Ich kann deshalb nicht Nein sagen, als man mich darum bittet, für das fünfjährige Jubiläum die Eucharistiefeier mit Predigt und die Festrede zu halten. Sie muss denn auch wegen der Ankündigung aus einem kleineren Saal in einen größeren verlegt werden, wo immerhin rund 2000 Menschen aus verschiedenen katholischen Organisationen zusammenkommen und mit mir zuerst froh die Eucharistie feiern, dann ein gemeinsames Dinner haben und schließlich meinen einstündigen Abendvortrag über »Kirche von oben und Kirche von unten« anhören mit einer anschließenden Fragerunde.
Die Mehrzahl der Zuhörerinnen und Zuhörer sind allerdings Laien; im Klerus hat sich wieder Angst ausgebreitet, und viele wagen nicht, an solchen Anlässen teilzunehmen. Natürlich setze ich mich ein für die Ideale des Konzils und wende mich gegen den wieder medial geförderten Personenkult und die wachsende Servilität der Bischofskonferenzen gegenüber Rom, von wo alle Reformen in der Kirche blockiert werden. Im »National Catholic Reporter« vom 20. 11. 1981 liest man einen Bericht, der wie folgt endet: »Es war eine alte Botschaft, aber der häufige Applaus und die Standing Ovations, die Küng erhielt, zeigten an, dass viele Chicago-Katholiken sie ernst nehmen. Man war sogar versucht zu vermuten, dass das Aggiornamento die ganze Zeit weitergegangen ist,
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