Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
wir dann wieder ins Flugzeug, um in einer guten Stunde in San Francisco zu landen, wo dieses Jahr im Hilton Hotel das große Meeting der American Academy of Religion (14.–22. 12.) stattfindet. Unter der sympathischen Leitung von Professor DOUGLAS KNIGHT von der Vanderbilt University diskutiere ich hier mit den Professoren FRANCIS FIORENZA (Catholic University of America) und ROBERT SCHARLEMANN (University of Virginia) über mein Buch »Existiert Gott?«. Wie üblich viele Begegnungen mit alten und neuen Freunden, Gespräche, Kolloquien und vor allem Empfänge.
Ich bin froh, dass wir am 22. Dezember nach Hawaii fliegen können und nach fünfeinhalb Stunden Flug in Honolulu ankommen, um sofort umzusteigen in ein Flugzeug nach der kleineren Insel Maui, die nur 30 Flugminuten von der Hauptinsel Oahu entfernt ist. Dort kann ich ausruhen und mich auf das nicht ganz einfache Symposion über Paradigmenwechsel und Buddhismus vorbereiten. Ein guter Moment, innezuhalten und zurückzublicken auf mein Gastsemester in Chicago.
»Leader of the loyal opposition«?
Ich erlebte in Chicago und andernorts viel freudige Zustimmung, meist mit rund 1000 Zuhörern und am Ende Standing Ovations. Hauptgrund ist sicher, dass ich durchaus substanzielle theologische Kost biete: über das Wesen des Christentums und der Kirche und ihre Funktion heute, über die bleibenden Konstanten christlichen Glaubens und Lebens. Aber wenn ich dann die Berichte in den Lokalzeitungen anschaue, dann konzentrieren sie sich regelmäßig auf die Variablen und berichten von dem, was die Öffentlichkeit gerne hören beziehungsweise getan haben möchte. Und dies betrifft nun einmal die Reformforderungen nach der Revision der Enzyklika »Humanae vitae« über die Geburtenregelung, die Aufhebung des Zölibatsgesetzes, die Zulassung der wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten, die Abendmahlsgemeinschaft … und den Ärger über den Widerstand der römischen Kurie gegen alle Reformen.
Am Ende der drei Monate kann ich mit dem Ergebnis meiner Lehrtätigkeit in Chicago und in den USA überhaupt höchst zufrieden sein. Wie in Tübingen und in Deutschland konnte ich auch in den USA meine Position halten und zahlreiche Menschen überzeugen. Meine römisch gesinnten Gegner freilich konnte ich nicht bekehren. Da konnte ich so oft wie möglich betonen, ich sei ein loyaler Katholik – die römische Gegenpropaganda ist zu stark, und viele Katholiken sind daher voreingenommen. Noch einmal, am Tag meines Abschieds von Chicago, am 10. Dezember, werde ich zur national verbreiteten Phil-Donahue-TV-Show eingeladen. Hier werde ich über das Telefon ganz direkt gefragt: »Are you a heretic?« Meine Antwort: »Nein, ich bin kein Häretiker, sondern ein loyaler Katholik«, und ich füge hinzu, dass es nicht nur mein Recht, sondern meine Pflicht als katholischer Theologe sei, meine gut begründete Kritik an bestimmten Zuständen in der Kirche zu äußern, stellvertretend für viele. Aber auch der Moderator PHIL DONAHUE selber, ein loyaler Katholik irischer Herkunft, wird nachher in Leserzuschriften scharf angegriffen, weil er bestimmte kritische Fragen an die katholische Kirchenleitung zuließ und auch selber deutlich zum Ausdruck brachte, dass er mit bestimmten Auffassungen des römischen Lehramtes nicht übereinstimmt.
Immer wieder mache ich deutlich, dass es mir darum geht, die Katholiken nicht zu trennen, sondern zusammenzuführen. Aber aufgrund des wachsenden römischen Widerstandes gegen die vom Vatikanum II eingeleiteten Reformen hat sich immer mehr eine »loyale Opposition in der Kirche« gebildet. Und obwohl ich mich dagegen wehre, die Rolle eines »leaders of the loyal opposition« zu übernehmen, fühle ich mich doch immer mehr in sie hineingedrängt.
Der Religionsredakteur der »New York Times«, KENNETH BRIGGS , der bei der Donahue-Show anwesend ist, schreibt dazu unter dem Titel »Küng’s Views Meet Positive Response in US« (13. 12. 1981): »Ob mit ihm einverstanden oder nicht, Katholiken und Nichtkatholiken strömten zusammen, um seine Plädoyers für eine demokratischere, flexiblere Kirche zu hören. Er ist möglicherweise die weltgrößte theologische Attraktion, ein Apostel einer nonkonformistischen Sicht und ein populärer Autor, der dem Kampf einer wichtigen Bewegung wie kein anderer eine Stimme verleiht. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass der Geist der Reform, wie er vom Zweiten Vatikanischen Konzil hervorgerufen wurde, nicht ausstirbt, auch
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