Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erlöst mich: Thriller (German Edition)

Erlöst mich: Thriller (German Edition)

Titel: Erlöst mich: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Kernick
Vom Netzwerk:
die Angreifer ihr gefolgt sein könnten. In ihrem Haus gab es nichts, das die Adresse ihrer Eltern verriet, und Boyd war ein zu gebräuchlicher Name, als dass jemand auf die Schnelle ihre Angehörigen hätte finden können. Dennoch sah sie sich noch mehrmals um und checkte auch die parkenden Autos, ehe sie die Gartentür des elterlichen Hauses öffnete.
    Ihre Mutter war sogleich an der Tür; sie war eine ältere, etwas dunklere Version Tinas, der Teint rührte von einem spanischen Vorfahr her. Für ihre einundsechzig Jahre sah
sie noch fantastisch fit und gut aus, und Tina hoffte oft, sie würde im Alter auch nur ein halb so attraktives Bild abgeben. Allerdings glaubte sie nicht wirklich daran, nicht wenn sie so weiterlebte, wie sie die vergangenen Jahre gelebt hatte. Im Augenblick wäre sie schon froh, wenn sie wenigstens ihren vierunddreißigsten Geburtstag erlebte.
    »Tina, mein Schatz, schön, dich zu sehen«, sagte ihre Mutter, lächelte freudig und drückte ihre Tochter so fest sie konnte an sich. Wohl als Folge der heutigen Ereignisse spürte Tina einen stechenden Schmerz und ächzte ein wenig. Ihre Mutter ließ sie los, trat einen Schritt zurück und musterte sie stirnrunzelnd.
    »Kind, was hast du denn mit deinen Haaren angestellt?«
    »Abgeschnitten. Manche Leute tragen es kurz.«
    »Und die Farbe. Du siehst ja aus …«, sie schnitt eine Grimasse, »… wie ein Mann, Tina. Du hattest doch so tolle Haare. Warum um alles in der Welt hast du das getan?«
    »Ich wollte mich mal verändern«, erwiderte Tina. Damit hätte sie rechnen können. Vor einigen Wochen hatte sie sich aus einer Laune heraus die Haare ultrakurz schneiden und blond färben lassen. Und egal, was ihre Ma meinte, ihr gefiel der neue Look. Er passte gut zu ihrem neuen, schlankeren und muskulöseren Körper, den sie mit vier Fitnessstudio-Besuchen pro Woche modellierte. Ein Aufwand, der ihr vorhin gute Dienste geleistet hatte.
    »Und was ist bloß mit deinem Gesicht passiert?«, fuhr ihre Mutter fort, die erst jetzt den Riss und die Schwellung auf Tinas Wangenknochen bemerkte.
    »Nichts weiter. Eine kleine Meinungsverschiedenheit mit einem Verdächtigen.«
    »Das sieht aber nicht nach nichts aus«, stellte ihre Mutter
fest. Sie zog Tina ins Haus und schloss die Tür. »Ich weiß nicht, warum du diesen Job machen musst, Schatz, wirklich nicht. Nach all dem, was dir schon zugestoßen ist. Warum suchst du dir nicht etwas anderes? Du hast einen Collegeabschluss, sogar einen guten. Damit lässt sich doch einiges anfangen.«
    Tina lächelte und sagte, sie würde es sich überlegen. Nach dem, was sie in den vergangenen Jahren durchgemacht hatte, kam die Besorgnis ihrer Mutter nicht überraschend. Sie hatte nicht nur den Tod von mehreren ihr nahestehenden Menschen verkraften müssen, sondern war auch zweimal im Dienst angeschossen, öfter noch von Verdächtigen beschossen und einmal sogar gekidnappt worden. Von daher stellte sie für ihre konservative Mittelschichtsfamilie einen Quell der Besorgnis dar, nicht zuletzt weil die sich in ihrem trauten Vorstadtheim keinen Begriff von der Gewalt machen konnte, die in den Straßen der Hauptstadt lauerte.
    Ihr Vater war ein pensionierter Finanzdirektor einer Versicherungsgesellschaft, ihre Mutter hatte als Hebamme gearbeitet, ehe sie sich bald nach der Heirat aufs Hausfrauendasein konzentrierte. Ihr älterer Bruder Phil war Baufinanzierungssachverständiger, verheiratet und hatte zwei kleine Kinder. Alle führten sie die Art angenehmes und unaufgeregtes Leben, die Tina vor Langeweile verrückt gemacht hätte. Allerdings hatte sie es schon seit Langem aufgegeben, ihnen das auch zu sagen.
    Und insgeheim freute es sie, dass es Menschen gab, die sich um sie sorgten.
    »Sieh mal, wer da ist, Frank«, verkündete ihre Mutter, als sie das Wohnzimmer betraten.
    Ihr Vater, der auf seinem neuen Plasmafernseher Golf geschaut hatte, stand auf. Normalerweise verbrachten er und seine Frau die Abende in getrennten Zimmern, wo sie unterschiedliche Fernsehsendungen verfolgten. Tina hatte das zwar immer schon bizarr gefunden, doch für die beiden schien es wunderbar zu funktionieren.
    Ihr Vater schenkte ihr ein Lächeln, das seine Besorgnis nicht ganz verbergen konnte, schloss sie in die Arme und hielt sie ein paar Sekunden länger als gewöhnlich fest. Auch wenn er es nicht so offen zeigte, war er – Tina wusste das sehr wohl – genauso um sie besorgt wie ihre Mutter. Sie hatte immer ein enges Verhältnis zu ihm gehabt,

Weitere Kostenlose Bücher