Erlöst mich: Thriller (German Edition)
meinen moralischen Kompass lange genug missachtet. War blind gegenüber den Regeln, die ich gebrochen hatte. Konnte ich es noch einmal tun, ein letztes Mal, wenn das Opfer eindeutig unschuldig war?
Die Antwort lautete Nein. Ich konnte es nicht. Nicht einmal angesichts der verlockenden Perspektive.
Mit einem Gefühl der Erleichterung, unter das sich erste Anzeichen von Angst mischten, ließ ich die Pistole sinken und legte sie aufs Bett.
25
»Du bist mir vom Flughafen aus gefolgt, stimmt’s?«, sagte Tina Boyd. Sie hielt die Augen auf die Pistole auf dem Bett gerichtet, blieb aber stehen, wo sie war.
Ich runzelte die Stirn, verblüfft, dass man mich so leicht ausmachen konnte. »Ja, bin ich.«
Sie seufzte und fuhr sich mit Hand durch ihre kurzen, stacheligen Haare.
»Ich brauche eine Zigarette. Ich gehe da rüber, zum Schreibtisch, und nehme mir eine. Okay?«
Ich nickte und sah zu, wie sie eine aus der Packung schüttelte und anzündete. Das Ganze mutete hochgradig surreal an. Hier saß ich und unterhielt mich höflich mit jemandem, den ich erst vor ein paar Minuten hatte erschießen wollen. Meine Ruhestandspläne, gerade noch hell und strahlend, verblassten. Trotzdem, ich hatte die richtige Entscheidung getroffen. Sie zu töten, wäre ein Verbrechen gewesen, mit dem ich nicht hätte leben können, ganz egal, was ich versucht hätte mir einzureden.
Tina sog lange an ihrer Zigarette und inhalierte den Rauch so tief in die Lungen, dass ich selbst fast wieder zu rauchen anfangen wollte. Ich bemerkte, wie sie mich komisch ansah.
»Kann es sein, dass ich dich von irgendwoher kenne?«, fragte sie.
»Nein«, sagte ich entschieden und stand auf. Ich musste hier raus, bevor ich die Situation noch schlimmer machte.
Misstrauisch zog Tina sich in die Ecke zurück.
»Schon gut«, sagte ich. »Ich tu dir nichts.«
Doch mein Versprechen stieß offenbar auf taube Ohren, denn Tina ging weiter rückwärts, bis sie an die Wand stieß.
»Wer hat dich geschickt?«
»Ein Mann namens Bertie Schagel. Er organisiert Exekutionen im Auftrag anderer Leute«, sagte ich und setzte mich wieder. »Wenn er herausfindet, dass ich dich nicht erledigt habe, schickt er jemand anderen. Du solltest abreisen. Du bist hier nicht sicher.«
»Danke für den Rat«, sagte sie und starrte mich immer noch an. Es war ein bizarrer, intimer Augenblick.
Plötzlich verengten sich ihre Augen, und ich sah das Wiedererkennen aufflackern.
»Du bist Dennis Milne.« Sie hielt inne. »Du hast dich verändert. Aber nicht genug.«
In diesem Moment hätte ich meine Pistole nehmen und verschwinden sollen. Sie sitzen lassen und das Risiko eingehen. Mir eine Ausrede zurechtlegen sollen, die ich Schagel auftischen konnte.
»Stimmt«, sagte ich leise.
»Du dreckiger Mörder. Und mich wolltest du auch umbringen.«
»Hab ich aber nicht«, antwortete ich und rieb mir unbewusst die Stelle, an der sie mich getroffen hatte.
»Warum nicht?«
»Erstens, weil du ein Cop bist. Und zweitens, weil du es nicht verdient hast.« Was ziemlich genau der Wahrheit entsprach.
Allerdings schien mein Eingeständnis keine große Wirkung zu haben, denn mit zwei, drei schnellen Schritten war sie bei mir und gab mir eine schallende Ohrfeige.
»Herrgott«, rief ich aus, »hast du mir noch nicht genug wehgetan?«
»Das ist für die Schande, die du über die Met gebracht hast. Und dafür, dass du mich beinahe umgebracht hättest.«
Ich rieb mir die Wange und behielt sie argwöhnisch im Auge, falls sie auf die Idee kommen sollte, mir noch eine zu verpassen. »Solltest du nicht lieber herauszufinden versuchen, wer dich umbringen lassen will? Schagel ist nur ein Broker, der Aufträge entgegennimmt.«
»Ich weiß genau, wer mich beseitigen will. Aber warum sollte ich das ausgerechnet dir auf die Nase binden?«
»Weil ich dir vielleicht helfen könnte.«
Noch während ich die Worte sagte, fragte ich mich, warum ich anbot, mich einzumischen. Vielleicht war es das Bedürfnis, alte Sünden wiedergutzumachen. Vielleicht war es auch weniger tiefgründig, und ich wollte nur einem hübschen Mädchen in Bedrängnis beistehen, obwohl Tina Boyd nicht gerade aussah, als müsse sie gerettet werden. Jedenfalls meinte ich es aufrichtig.
Tina nickte bedächtig und bückte sich dann plötzlich, nahm mit einer schnellen Bewegung die Pistole vom Bett und richtete sie auf meine Brust.
»Ich sollte dich direkt der Polizei übergeben.«
Ich sah sie unbeeindruckt an.
»Wie gesagt, vielleicht kann ich
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