Erlösung
„Natürlich. Ihm geht es bis auf den Gedächtnisverlust sehr gut. Die Ärzte haben auch immer wieder beteuert, dass diese Form der Amnesie, auch wenn sie schwerwiegend ist, durchaus temporärer Natur sein kann. Es gab schon derartige Fälle, bei denen ein großer Teil der Erinnerungen zurückgekehrt ist.“ Dieses Mal nicht.
Wir setzten uns bereits in Bewegung und mir fiel auf einmal auf, dass ein paar Bilder an der Wand fehlten. Lesley blieb abrupt stehen.
„Wieso habt ihr die Fotos abgenommen?“ Sie ließ ihre schmalen Finger über die dunkle Holzvertäfelung gleiten.
Newton räusperte sich. „Die Ärzte meinten, dass man Mr. Ashton behutsam wieder daran gewöhnen sollte. Der Therapeut hat vor, ihn in jeder Sitzung langsam und immer ein Stück mehr an seine Familie heran zu führen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin kein Doktor, aber ich denke, dass gerade seine Familie ihm doch nicht vorenthalten werden sollte.“
„Das sehe ich ähnlich wie Sie, Newton“, pflichtete Liz ihm bei. Wir liefen den ausgedehnten Korridor weiter entlang, bis wir die massive Holztür erreichten, die in einen mir bekannten Raum führte. Richard Ashton saß am Fenster des geräumigen Wohnzimmers und starrte hinaus. Es hatte zu regnen angefangen und der Himmel wirkte damit noch dunkler als noch zu Beginn des Tages.
„Sir, Sie haben Besuch.“ Newton betrat als Erster das Zimmer und er dirigierte Lesley und mich zu der exquisiten Sitzgarnitur, die in der Mitte des Raumes stand. Lizs Vater drehte den Kopf und sah uns an. In seinem Blick lag keinerlei Empfindung und sein Mund war bloß eine ausdruckslose schmale Linie. Die Verletzung, die Peter ihm beigebracht hatte, war bereits gut ausgeheilt. Es lag nur noch ein Hauch von getrocknetem Blut in der Luft. Doch mein Engel zeigte diesbezüglich keinerlei Regung, obwohl sie es ebenso wie ich riechen musste. Ich war wirklich stolz auf sie.
„Das ist Ihre To…“, Newton verschluckte das letzte Wort, als Lesley ihn sanft an der Schulter berührte. Ein kaum auszumachendes Kopfschütteln von ihr signalisierte ihm, dass sie nicht vorgestellt werden wollte. Wozu auch? Es hätte nichts genutzt, denn Ashton konnte weder mit ihr noch mit mir irgendetwas in Zusammenhang bringen.
„Ist schon gut“, sagte sie leise. „Wir wären gern einen Moment mit ihm allein.“ Der Butler reagierte in gewohnter Manier und zog sich augenblicklich zurück. Richard schaute ihm noch nicht einmal nach, er wirkte ziemlich teilnahmslos. Ich nahm auf einem der Sofas Platz, während Liz zu ihrem Vater hinüber ging. Sie hockte sich vor ihn und ein herzerwärmendes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
„Hallo“, begrüßte sie ihn. Ashton zog eine Augenbraue nach oben.
„Hallo“, wiederholte er scheinbar gelangweilt. „Sie sagen mir jetzt vermutlich auch, dass ich Sie kennen müsste.“ Sein entnervter Tonfall war unverkennbar. Trotz Gedächtnisverlust schien er immer noch ein arroganter… ich zwang mich, meine Empfindungen zurückzuhalten, denn das war im Moment ziemlich unangebracht.
Mein Engel lächelte immer noch. „Die Wahrheit steckt tief in dir, und ich bin mir sicher, dass sie ans Licht kommen wird, wenn du bereit dazu bist.“ Ihre Worte klangen ehrlich, obwohl sie wusste, dass Peters Gabe unwiderruflich war. „Manchmal ist es auch einfach besser, nach vorne zu sehen und das Leben weiter zu leben und sich neuen Dingen zu stellen.“
In Ashtons Mundwinkeln zuckte tatsächlich ein Grinsen. „Von wem ist denn diese Weisheit?“
„Von meinem Vater.“ Sie legte ihre Hand auf seinen Oberschenkel. „Ich bin gekommen, um Lebewohl zu sagen.“
Er wirkte irritiert. „Aber ihr seid doch gerade erst angekommen?“
„Wir wollten schauen, ob es dir gut.“
„Bis auf die Beule an meinem Kopf geht es mir körperlich recht gut. Es ist aber ziemlich frustrierend, dass ich noch nicht einmal meinen Namen mehr wusste. Richard Ashton klingt immer noch nicht vertraut, auch wenn das in meinem Pass steht.“ Er zuckte mit den Achseln. „Jeder der sich umschaut würde aber vermutlich sagen, dass ich den Hauptgewinn gezogen habe. Ich bin anscheinend ziemlich reich, zwar alleinstehend, doch das bedeutet dann auch, dass ich nichts teilen muss.“ Ein Anflug von Arroganz, die ich von ihm schon kannte, zeichnete sich in seinem Gesicht ab. Die bisherige Härte blieb dafür aus. „Ich sollte also nicht herummäkeln, nicht wahr?“
„Wahrscheinlich nicht. Manche Menschen würden für einen Neuanfang
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