Erlösung
also…“ Abwartend sah sie mich an.
Ich hielt ihrem Blick stand. „Ja, das weiß ich. Ich war jede Nacht hier, seitdem…“ Ich brach abrupt ab. Verflucht! Niemand wusste, dass ich hier gewesen war.
Die Doktorin legte ihren Kopf etwas schief und eine Augenbraue schob sich misstrauisch nach oben. „Nun, Sir, ich fürchte, dass ich Sie noch niemals zuvor hier gesehen habe und ich bin fast jeden Abend hier.“ Ihr Gesichtsausdruck wurde sofort wieder entspannter. „Aber ich gebe zu, dass ich täglich einige Gesichter sehe.“ Sie griff sachte nach meinem Arm. „Kommen Sie mit. Wir klären kurz die Formalitäten, in Ordnung?“ Ich ging mit in den Flur hinaus, doch mein Blick glitt unwillkürlich zu Evelyn, die merkwürdigerweise bisher noch überhaupt nichts gesagt hatte. Sie sah mich ebenfalls an, aber in ihren schönen blauen Augen spiegelte sich nur Unverständnis wider.
„Evelyn?“ Ich erhielt weder eine Antwort noch eine Reaktion von ihr. Was passierte hier?
„Hören Sie, ich glaube, dass ich verstehe, um was es hier geht. Sie sind ihr Freund und kein direkter Verwandter oder ihr Ehemann, richtig?“
Ich nickte der Doktorin beinahe automatisch zu. „Das dachte ich mir. Ich bin was das angeht nicht unbedingt die Pingeligste, aber in Anbetracht der Lage, möchte ich Ihnen sagen, dass die Situation ein wenig komplizierter ist als es vielleicht den Anschein macht.“ Da ich nicht auf ihre Aussage reagierte, griff sie plötzlich nach meiner Hand.
„Sir, hören Sie mir über-“, mit einem Ruck zuckte sie vor mir zurück und jetzt hatte sie meine volle Aufmerksamkeit. „Mein Gott, Ihre Hand ist ja eiskalt. Geht es Ihnen gut?“ Die junge Ärztin wirkte mit einem Mal besorgt.
Toll! Gleich würde ich mehr als nur eine Person in Aufruhr versetzen. Eine Schwester, die Akten vor sich auf einen Tisch stapelte, blickte bereits zu uns rüber.
Ich versuchte mich krampfhaft zu konzentrieren. „Tut mir Leid, ich leide an einer schlechten Durchblutung.“ Mehr war mir auf die Schnelle nicht eingefallen, denn auf die derzeitigen milden Temperaturen konnte ich es nicht schieben. Ich rieb mir demonstrativ die Hände. „Ich bin nur so aufgeregt, verstehen Sie?“ Für einen Moment legte ich meine gesamte Überzeugungskraft in meine Augen. Die Ärztin sollte in meinem Blick erkennen, dass es mir Ernst war. Vielleicht lag es an meinen leuchtenden Pupillen, die hoffentlich nicht zu unmenschlich aussahen, es schien jedenfalls zu funktionieren.
Sie lächelte mitfühlend. „Natürlich, das ist mehr als verständlich. Nur ist es leider nicht ganz so einfach, denn Miss Richwood lag nicht nur für eine lange Zeit im Koma, sie scheint seitdem auch unter einem schweren Gedächtnisverlust zu leiden. Ob dieser nur vorübergehend ist, können wir noch nicht genau sagen. Wir müssen abwarten, was die nächsten Tests bringen und bis dahin, so Leid es mir tut, benötigt Miss Richwood absolute Ruhe. Sie darf sich nicht aufregen und zwar in keiner Weise.“
Die Worte sickerten in mein Bewusstsein, aber sie fühlten sich nicht richtig an. Diese Frau sprach gerade über Evelyn und nicht über irgendeine Patientin mit Amnesie oder dergleichen. Es ging hier um den einzigen Menschen, der mir seit meiner Zeit als Vampir etwas bedeutete. Evelyn hatte ihr Leben für mich aufgeben wollen und nur wegen mir war sie überhaupt in dieses grauenvolle Schicksal geraten. Hätte ich sie damals bloß nicht gehen lassen. Wenn ich doch nur früher auf der Straße gewesen wäre, um sie zu schützen. Der Wagen hätte sie niemals…
„Sir?“ Die sanfte Stimme der Ärztin erinnerte mich daran, dass ich noch immer im Flur des Krankenhauses stand und mehr als ein sterbliches Augenpaar auf mir haftete. Ich schluckte die bittere Wahrheit herunter.
„Ich verstehe. Bettruhe und keine Aufregung. Wann kann ich sie sehen?“ Die Frage klang mehr nach einem Flehen, aber das war mir in dieser Sekunde egal.
„Kommen Sie morgen Vormittag wieder.“
Ich schüttelte energisch den Kopf. „Tagsüber ist es meistens schwierig.“ Bei Sonnenlicht hatte ich kaum eine Chance, dass Hospital unversehrt zu erreichen. „Ich bin extra nur nachts hier gewesen, weil ich sonst…“ In Flammen aufgehen würde, schoss es mir kurzzeitig in den Sinn. Denk nach, Peter!
„Weil Sie arbeiten müssen?!“, vollendete Dr. Ashton meinen halbherzigen Versuch sie zu belügen. Sie ging also tatsächlich darauf ein. Ich musste wohl einen ziemlich jämmerlichen und verzweifelten
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