Erlösung
logisch.“ Ihr Lächeln konnte den Kummer, der in ihrer Stimme mitschwang, nicht verbergen.
„Komm“, ich führte sie die nächste Straße entlang, „lass uns zu Gerard gehen. Er kann dir nicht nur die besten und interessantesten Geschichten über Paris erzählen, er wird auch ganz bestimmt einen Platz kennen, an dem wir heute Nacht noch etwas üben können.“
Jetzt hellte sich ihr Gesicht auf. „Üben?“
Ich lachte herausfordernd. „Ganz recht, du willst doch irgendwann so gut werden wie ich. Oder etwa nicht?“
Erste Schritte
Der Himmel war finster, dichte Wolkenbündel verdeckten den Mond, der heute kaum noch eine Chance haben würde, sich zu zeigen. Perfektes Wetter, um ein wenig zu proben. Ich hatte Lesley auf das weitläufige Industriegelände mitgenommen, das Gerard mir beschrieben hatte. Da es mitten in der Nacht war, würde uns wohl niemand bei unseren Übungen stören, obwohl ich mir sowieso nicht sicher war, ob das Areal überhaupt noch genutzt wurde. Der ganze Komplex wirkte nicht nur auf den ersten Blick äußerst marode. Für mein Training war das ebenso passend, das würde Lizs Reflexe vielleicht sogar noch ein wenig mehr fordern. Für den Anfang hatte ich mir eine alte Lagerhalle ausgesucht.
„Bist du soweit?“ Ich deutete mit dem Kopf nach oben. Lesley betrachtete skeptisch die Betonwand, die hier und da ein paar Risse hatte.
„Du willst da nicht rauf, oder?“
„Was denkst du denn. Schließlich wollen wir doch deine Fähigkeiten testen und sie vor allem zügig verbessern. Keine Angst, es ist leichter als es aussieht.“ Mit einem ersten Sprung gegen die poröse Wand, begann ich meinen Aufstieg Richtung Dach. Es dauerte nur wenige Sekunden, ehe sich mein Engel dazu entschloss, mir zu folgen. Sie sprang ebenfalls gegen die Außenwand und war wohl mehr als überrascht, dass sie tatsächlich Halt fand, ohne sich irgendwo krampfhaft festkrallen zu müssen. Scheinbar mühelos kletterte sie mir dann hinterher, auch wenn sie ein, zwei leise Flüche zum Himmel schickte. Jetzt war ich erst recht davon überzeugt, dass sie schneller lernen würde als ich damals. Liz hatte schon als Mensch eine perfekte Haltung gehabt und mit ihrem neuen Körpergefühl würde sie bald mit sich und der Umwelt im Einklang sein. Ich trat aufs Dach und half ihr beim letzten Stück, indem ich sie zu mir hoch zog. Lesley starrte vom abrissreifen Gebäude nach unten.
„Du meine Güte, das sind gut zehn Yards!“
„Bis zum anderen Gebäude sind es aber nur gut acht Yards“, gab ich trocken zurück. „Das ist ein leichter Sprung für den Anfang.“
„Was? Oje.“ Auf ihrer Stirn zeichneten sich plötzlich Sorgenfalten ab. „Kann ich das denn? Was ist, wenn ich es nicht schaffe?“
„Das ist der ganze Spaß daran“, neckte ich sie.
Ihre Augen funkelten mich an. „Du willst mich herausfordern?“
Ich musste unwillkürlich lachen. „Ein wenig, ja. Du musst nur mehr Selbstvertrauen haben. Und selbst wenn du den ersten Versuch tatsächlich nicht schaffst, was ich nicht glaube, viel passieren kann dir trotzdem nicht. Es ist ein bisschen wie bei einer Katze, du landest automatisch auf den Füßen. Pass auf!“ Das letzte Wort war noch nicht ganz verklungen, da schnellte ich bereits durch die Luft. Ich landete gekonnt und mühelos auf dem Dach der anderen Lagerhalle. „Voila!“
„Wenn ich dich nicht besser kennen würde, dann würde ich sagen, du bist ein arroganter Mistkerl“, jetzt lächelte sie auch. „Doch in deinem Fall hat es wirklich was mit Können zu tun.“
„In deinem Fall auch. Vertrau mir. Denk´ nicht darüber nach, tue es einfach. Spring!“
Sie ging ein Stück zurück, um Anlauf zu nehmen und dann rannte sie auf mich zu. Ihre Füße verloren den Kontakt mit dem Dachvorsprung und ihr Körper wirkte im Sprung sehr geschmeidig und kontrolliert. Sie setzte exakt neben mir auf. Lesley stemmte ihre kleinen Hände in die Hüften.
„Voila!“, rief sie vergnügt.
Ich nickte anerkennend. „Wie ich es erwartet habe und sogar noch ein wenig besser. Also, können wir zum zweiten Schritt übergehen.“ Mit abgeschwächtem Tempo, damit sie meinen Bewegungen genau folgen konnte, rannte ich weiter. Am Ende des Daches sprang ich wieder ab. Dieses Mal ließ ich mich jedoch in die Tiefe fallen.
„Nicholas!“ Ihr aufgeregter Schrei verhallte in der kühlen Nachtluft. Ich stand unten und wartete bis sie an den Rand herangetreten war.
„Geht’s dir gut?“, rief sie zu mir
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