Erlosung
â «
Ella schüttelte den Kopf; das Plastik knisterte, nass von ihrem kondensierten Atem. »Ich glaube Ihnen nicht.«
»Sie glauben nicht, dass ein enger Freund von Raymond Lazare und Eduard Forell sich als Vermittler zu Verfügung stellt, damit nicht noch mehr Menschen sterben müssen?«
Ella schwieg.
» Laetitia â le cellulaire «, sagte der Anwalt zu ihrer Bewacherin. »Serge Barrault.« Wieder Rascheln, dann leises Klicken, als eine Nummer in ein Handy eingegeben wurde. »Sprechen Sie selbst mit ihm, überzeugen Sie sich, Doktor Bach. Ich verlasse in der Zwischenzeit den Raum.«
»Ich spreche kein Französisch«, sagte Ella.
»Das macht nichts â er spricht Deutsch«, sagte der Anwalt fast verächtlich. »Viele von uns sprechen mehrere Sprachen, und nach la Wiedervereinigung vor zwanzig Jahren schien es nicht wenigen ratsam, vor allem ihre Deutschkenntnisse aufzupolieren. « Die Ledersohlen marschierten klackend aus dem Zimmer.
Die Frau, die er Laetitia genannt hatte, nahm Ella die Tüte ab und sagte »Le Professeur « in das Handy, bevor sie es Ella in die gefesselten Hände drückte. Ella hielt es mit der Rechten, hob beide Hände ans Ohr. Zuerst hörte sie nur Knistern und Rascheln, dann leises, unregelmäÃiges Atmen.
»Oui «, sagte ein Mann mit einer alten, müden Stimme, die genauso mutlos und erschöpft klang, wie sie sich fühlte. »Barrault.«
Ella zögerte, dann sagte sie: »Monsieur Barrault, mein Name ist Bach â Ella Bach â Sie kennen mich nicht â «
»Doch, ich kenne Sie«, unterbrach die Stimme sie. »Eduard hat mir von Ihnen erzählt, bei unserem letzten Telefonat â¦Â«
»Ich verstehe Sie sehr schlecht«, sagte Ella, obwohl die Verbindung tadellos war. Sie ging zum Fenster. »Jetzt ist es besser. « Sie versuchte, durch die Ritzen der Jalousie einen Blick nach drauÃen zu erhaschen und verbarg dabei mit der linken Hand ihre Augen.
»Stimmt es, dass Sie mit jemandem von der Anwaltskanzlei Rochefort, Gladstone & Wentworth zusammenarbeiten, um einen Kontakt zu dem verschwundenen Bankier Raymond Lazare herzustellen?«
»Zusammenarbeiten?«, fragte die erschöpfte Stimme. »Ja, so könnte man es wohl nennen, ich arbeite mit denen zusammen â ähnlich wie Sie, nehme ich an.« Jetzt schwang noch etwas anderes in der Stimme mit, das Echo erlittener Schmerzen, der Nachhall von Drohungen und Schlägen. »Sagen Sie, was Sie wollen, ich â ich habe nicht mehr viel Zeit.«
Ella sagte: »Man hat mir von einem Neffen Lazares erzählt â Rémy, einem Priester, der in einem Kloster leben soll â¦Â« Sie stand jetzt ganz dicht am Fenster, beobachtet von der farbigen Frau, der nicht aufzufallen schien, dass sie hinausspähte. Das Licht vor dem Fenster blendete sie. Aber dann erkannte sie das riesige Gebäude auf der anderen Seite eines abschüssigen Platzes
schräg gegenüber an seiner klobigen, kantigen Form mit den Nebelhörnern auf dem Dach, der schimmernden Metallverkleidung der Wände und den durchsichtigen, geknickten Röhren an der Stirnseite, in denen sich winzige Menschen von Stockwerk zu Stockwerk auf- und abwärts bewegten.
»Ja, ein beeindruckender junger Mann«, bestätigte Barrault.
Auf dem von wimmelnden Leben erfüllten tiefergelegten Platz vor dem Beaubourg saÃen junge Leute in kleinen Gruppen zwischen Malern und StraÃenmusikanten, und Flics auf Motorrädern patrouillierten im Schritttempo längs der Rampe vor den kleinen Cafés, Bistros und Andenkenläden. Direkt unter dem Fenster konnte Ella eine verschmutzte Passage mit einem Pornokino und einem Super-Marché sehen. Darüber befand sich ihre Wohnung, eine von Dutzenden waghalsig gegeneinander versetzter Betonwaben, deren ehemals sandfarbene Mauern wie von Rost- und Nässeflecken zernarbt wirkten.
»Und es stimmt, dass er als Einziger weiÃ, wie man Monsieur Lazare erreichen kann?«, fragte Ella.
»Ja.«
»Lazare ist also nicht entführt worden und auch nicht tot?«
»Nein.«
»Demnach hat es tatsächlich eine Begegnung zwischen ihm und einer jungen französischen Stundentin namens Madeleine Schneider gegeben, die Sie vermittelt haben?«
»Das ist richtig.«
»Dann stimmt es auch, dass es diese Begegnung war, die Lazare dazu gebracht hat, von heute auf morgen alles
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