Erlosung
lagen. Rechts und links der StraÃe erstreckten sich grüne Wiesen, in die sich bereits groÃe Flecken Gelb gemischt hatten. Kleine Schafe mit dunkelbraunen Köpfen und schwarzen FüÃen weideten in der leuchtenden Sonne, und die Kronen der Apfelbäume und das Gras wogten im salzigen Wind, der vom Meer landeinwärts wehte. Von irgendwoher trieb der Wind das Motorengeräusch eines fahrenden Traktors heran. Das Geräusch kam nicht näher, und der Traktor selbst blieb unsichtbar.
Hinter den flirrenden Kronen der Apfelbäume entdeckte Ella ganz weit entfernt ein Total -Emblem an einem Eisenmast, und als sie genau hinschaute, bemerkte sie am Horizont auch einen Campingplatz. Daneben erhob sich der fensterlose Flachbau eines Carrefour- Supermarktes, vor dem eine bunte Fahne im Wind hin und her schlug .
»Komm zurück, wir fahren weiter«, rief Ella. Annika blieb noch einen Moment am Saum der Wiese stehen, dann kehrte sie um und kam langsam auf Ella zu. Das Metall der ReiÃverschlüsse und Noppen an ihrer Lederjacke schimmerte und
blitzte wie eine Rüstung. »Ich muss was mit dir besprechen«, sagte Ella, als sie da war.
Annika versteifte sich ein wenig. Ein wachsamer Ausdruck trat auf ihr Gesicht, als wüsste sie bereits, was Ella ihr sagen wollte. »Wir müssen umdisponieren«, erklärte Ella. »Lazares Neffe erwartet mich nicht vor sieben Uhr heute Abend. Die Leute von Birnam Forrest sind wahrscheinlich schon auf der Insel â «
»Deine Mörder«, unterbrach Annika sie.
»Es ist ein Ãberwachungsteam, mehr nicht«, korrigierte Ella sie. »Gefährlich werden sie erst, wenn ich wieder aus dem Kloster komme, und das vielleicht auch nur, falls ich Erfolg haben sollte. Ich möchte sie mir aber vorher ansehen, um zu wissen, auf wen ich dann achten muss. Deswegen muss ich mich unauffällig bewegen können und schnell â «
»Du willst nicht, dass ich mitkomme«, unterbrach Annika sie erneut, jetzt mit einem verletzten Unterton in der Stimme. Sie blinzelte in die Sonne, sah Annika nur kurz an und fing dann wieder an, das unsichtbare Fädchen von ihrer Bluse zu zupfen.
»Ich habe Angst, dass du dir zu viel zumutest«, sagte Ella.
»Du hast Angst, dass ich einen Anfall kriege«, sagte Annika, »und die Aufmerksamkeit auf dich lenke, und das kannst du nicht gebrauchen. Mit mir ist es gefährlicher als ohne mich, oder?«
»Ja«, gab Ella zu und schämte sich ein wenig. »Das verstehst du doch, oder?«
»Natürlich verstehe ich das«, antwortete Annika. Sie lächelte, aber es war ein Lächeln, an dem man hängen bleiben konnte wie an einem feinen, spitzen Angelhaken. Sie ging an Ella vorbei zum Wagen, holte ihren Rucksack vom Rücksitz, wischte sich noch ein anderes unsichtbares Fädchen von der Bluse und marschierte los.
»Wo willst du denn hin?«, rief Ella verblüfft.
»Ich gehe zu Fuë, antwortete Annika, ohne stehen zu bleiben. »Ich habe ja keine Eile mehr. Und ich will dich auf gar keinen Fall in Gefahr bringen.«
Ella sah zu, wie Annika das Ende der Parkbucht ansteuerte, mit groÃen, zielstrebigen Schritten und wie sie dabei nicht aufhörte, kleine mechanische Bewegungen zu machen, die nicht den geringsten Sinn hatten. Herr im Himmel, dachte sie und zwang sich, ruhig zu bleiben, nicht wütend zu werden. Dann dachte sie, wir sind längst über die Grenze zum Chaos gerutscht, Anni, ich, Dany, die ganze Welt.
»Anni, bleib stehen!«
Annika gehorchte. Mit zusammengeknifffenen Augen drehte sie sich um. »Was ist?«
»Du kannst mitkommen«, sagte sie und dachte im selben Moment, dass sie wieder eine falsche Entscheidung getroffen hatte.
Annika blinzelte noch einmal, fuhr sich mit einem schwarzen Lederarm über die Stirn und lieà ihren Rucksack fallen, wo sie stand. Sie atmete heftig, stoÃweise, als wäre sie hundert Meter gerannt. Unter ihrem linken Auge zuckte unablässig ein Muskel. »Ich will gar nicht mit«, sagte sie. »Ich weià selbst, dass ich in diesem Zustand keine Hilfe für dich bin. Ich habe auch noch nie gehört, dass der Mont Saint-Michel ein Wallfahrtsort für Epileptiker ist.« Mit einer fahrigen Bewegung holte sie das Tablettendöschen aus der Jackentasche. »Du kannst mich irgendwo im nächsten Ort absetzen, und ich suche mir dann ein Hotel. Du musst mir nur versprechen, dass du mich wieder
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