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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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künstliche Koma versetzt und einen Trachealtubus gelegt, weil die Sauerstoffmaske auf dem zerstörten Gesicht keinen Halt fand. Dann war der Nachbar aus dem zweiten Stock mit der Trage gekommen und hatte ihr geholfen, die Frau und den Sauerstoff auf die Trage zu legen und nach unten zu tragen.
    Max war hinter ihnen hergehumpelt, eine Hand am Treppengeländer, EKG und Infusionsbeutel in der anderen. Unten hatten sie die Frau in den Wagen gehoben, und danach war sie noch einmal nach oben gegangen, um Defi und Notfallkoffer zu holen. Max hatte sich zu der Verletzten gesetzt, um die Instrumente im Auge zu behalten und die Herzaktivität zu überwachen. Von dem Mann, der in der Wohnung gewesen war, hatte Ella nichts gesagt; einen Moment lang war sie nicht einmal mehr sicher gewesen, ob sie ihn überhaupt gesehen hatte.
    Vielleicht hast du ihn dir nur eingebildet, eine Halluzination.
    Sie war hinters Steuer geklettert und hatte Funkkontakt mit der Leitstelle aufgenommen. »NAW 4305 an Florian Berlin. Wir sind noch in der Benno-Ohnesorg-Straße und fahren jetzt los. Wir bringen die Patientin in die Rettung der Charité Campus Mitte. Die sollen einen OP und ein Bett auf der Intensivstation vorbereiten. Die Frau hat viel Blut verloren und steht unter Schock. Sie war schon klinisch tot.«
    Sie hatte den Motor gestartet, das Martinshorn eingeschaltet und den Sprinter wieder auf die Yorckstraße gesteuert. An der Ecke zum Mehringdamm war ihr dann endlich die Feuerwehr entgegengekommen, viel zu spät. Der Leiterwagen fuhr vorbei, aber im Rückspiegel sah Ella, dass er plötzlich bremste und wendete, und da hatte sie auch den Audi Quattro entdeckt, der abbog, wenn sie abbog, und beschleunigte, wenn sie beschleunigte.
    Und da dachte sie, das ist er, er ist nicht weggelaufen, er hat gewartet.
    Sie trat das Gas voll durch. Das Licht der Straßenlampen wischte über ihre mit getrocknetem Blut verklebten Hände, die das Lenkrad fest umklammerten. Sie war plötzlich müde, und als der Audi hinter dem Kanal nicht wieder auftauchte, dachte sie, du spinnst, und musste lachen, einen winzigen Augenblick lang.

    Die Currybude an der Yorckstraße war noch offen, der Tutti Frutti Club lockte weiter mit Frauen, die an Stangen tanzten. Aber die meisten Streuner waren verschwunden, genauso wie die Raver, die Türken und Araber. Auch die Skins, die Punker und die letzten Prostituierten hatten sich mit der Dunkelheit aufgelöst wie Gestalten im bunten Geflitze eines Videoclips.
    Die Leitstelle meldete sich, und als Ella den Empfang bestätigte, sagte der Disponent: »Hör zu, Ella, ihr müsst eure Patientin in die Charité nach Wedding bringen, in Mitte ist alles voll – «
    Â»Geht nicht«, sagte Ella. »Ist zu weit.«
    Â»Dann nimm ein anderes Krankenhaus in der Nähe, bring sie ins Urban«, beharrte der Disponent. »Es hat ein Feuer in einer Diskothek gegeben, fünfzehn Tote und über fünfzig Verletzte. Die meisten werden in die Notaufnahme von Mitte gebracht, und die Intensivstation hat kein Bett mehr frei!«
    Â»Sie stirbt, wenn ich sie woanders hinbringe«, erklärte Ella. »Sie hat praktisch kein Gesicht mehr, jemand hat ihr ein paar Zähne ausgeschlagen, mehrere Rippen gebrochen, die Haut von Oberkörper und Gesicht in Streifen geschnitten und sämtliche Fingernägel der rechten Hand ausgerissen.«
    Einige Sekunden lang herrschte Schweigen am anderen Ende, nur Rauschen und Knistern und Stimmen im Hintergrund. »Jemand? Wovon sprichst du?«, fragte der Disponent endlich.
    Â»Von einem Wahnsinnigen«, sagte Ella erschöpft, »einem Monster. Kannst du bitte die Polizei anrufen? Die Kripo sollen sich das mal ansehen …«
    Â»Wie ist der Name des Opfers?«
    Â»Wir haben keinen Namen.«
    Â»Was stand denn an der Tür?«
    Â»Da stand nichts. Ich mache jetzt Schluss.«
    Â»Ella«, der Disponent hob die Stimme, »du musst eine andere Notaufnahme ansteuern, in der Luisenstraße stauen sich die Rettungsfahrzeuge – «

    Â»Ich bin gleich da«, sagte Ella. »Ich sorge dafür, dass sie drankommt. Sie ist meine Patientin, und ich bringe sie durch.«
    Der Wind blies einen Schwall Wasser von der S-Bahn-Überführung auf ihre Windschutzscheibe herunter. An der Kreuzung dahinter schaltete eine Ampel auf Rot. Das Wasser auf der Scheibe glühte auf, wurde von den Wischerblättern beiseitegefegt. Ella

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