Ermittler in Weiß - Tote sagen aus
Unfalls gefahren? Die Schuldfrage an sich war von vornherein klar. Der Lkw befand sich auf der vorfahrtsberechtigten Straße, der Pkw hatte ihm eindeutig die Vorfahrt genommen. Damit trug zweifellos der Fahrer des Pkw die Schuld am Unfall, und der Frage, wer zum Zeitpunkt des Unfalls am Steuer gesessen hatte, kam eine besondere Bedeutung zu. Alles in allem sprach das gesamte Geschehen für einen Alkoholunfall. Das eigentlich sinnlose Überqueren der Kreuzung, die in eine Sackgasse mündete, das Übersehen des ordnungsgemäß beleuchteten, von rechts kommenden Lkw und das Missachten der vorfahrtsberechtigten Hauptstraße ließen sich am ehesten als alkoholbedingte Fehlhandlungen erklären. Eine alkoholische Beeinflussung wies aber nur der Ehemann auf. War es vor dem Unfall doch noch zu einem Fahrerwechsel gekommen? Für diese Annahme schien auch die Lage der verletzten Frau nach dem Unfall zu sprechen. Die Untersuchung des Unfall-Pkw zeigte nämlich, dass die linke Seitentür verklemmt war und sich nicht öffnen ließ. Weit offen stand aber die rechte vordere Tür, also die Tür auf der Beifahrerseite. Alles wies daraufhin, dass die Insassen des Pkw nur durch diese Tür hinausgelangt sein konnten. Das hieße: Der Wagen hatte sich mehrfach gedreht. Durch den Schleudervorgang waren Kräfte frei geworden, die durchaus beide Insassen durch die aufgesprungene Tür gewaltsam nach draußen befördert haben konnten. Logischerweise musste als Erstes die Person auf dem Beifahrersitz herausgeschleudert werden, bevor der Fahrer über den Beifahrersitz rutschen und nachfolgen konnte. Man musste naturgemäß davon ausgehen, dass die Zentrifugalkräfte auf die Person des Beifahrers stärker eingewirkt und ihn weiter hinausgeschleudert hatten als den Fahrer, der ja beim Rutschen über den Beifahrersitz abgebremst wurde. Da die Frau aber wesentlich entfernter vom Fahrzeug aufgefunden wurde als der Ehemann, war anzunehmen, dass sie auf dem Beifahrersitz gesessen hatte. Somit musste also doch noch ein Fahrerwechsel stattgefunden haben. Fest stand allerdings - durch mehrfache Zeugenaussagen zweifelsfrei bestätigt -, dass bei der Abfahrt die Ehefrau den Wagen gefahren hatte. Aber wo und warum war der Fahrerwechsel erfolgt? Die Fahrstrecke von der Wohnung des befreundeten Ehepaares bis zur Unfallstelle betrug nur wenige 100 Meter. Außerdem konnte dieser Wechsel nicht auf der ersten Hälfte der Strecke erfolgt sein, da ja die anderen Ehepaare hinterher gefahren waren und ein Anhalten bemerkt hätten. Gelegenheit zum Fahrerwechsel bestand praktisch nur auf der letzten Strecke unmittelbar vor dem Unfallort. Fragen über Fragen, die das Gericht zu klären hatte. Der Ehemann bestritt energisch, gefahren zu sein. Er sei sofort nach Fahrtbeginn etwas eingeduselt und habe nicht gesehen, was sich unmittelbar vor dem Unfall ereignete. Erst durch einen lauten Knall sei er wach geworden, habe gemerkt, wie der Wagen nach links schleuderte und sei dann aus dem Auto gefallen. Wie es zu dem Unfall gekommen sei, wisse er auch nicht. Es kam zur Gerichtsverhandlung. Insbesondere wegen der Situation beim Herausschleudern und der Lage der beiden Insassen nach dem Unfall wurde es vom Gericht als erwiesen angesehen, dass der Ehemann zum Zeitpunkt des Unfalls den Wagen gefahren hatte. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Da er den Unfall unter einer starken alkoholischen Beeinflussung herbeigeführt hatte, machte ihn seine Haftpflichtversicherung regresspflichtig und forderte die verauslagte Schadenssumme für den Lkw und die Kosten für die Behandlung des getöteten Lkw-Fahrers zurück. Auch der Schaden an seinem eigenen Fahrzeug wurde von der Kaskoversicherung nicht reguliert, da er ja unter Alkohol gefahren war und somit grob fahrlässig gehandelt hatte. Gegen dieses Urteil legte der Ehemann Berufung ein. Da der Unfall-Pkw nach Abschluss der Untersuchungen dem Eigentümer zurückgegeben worden war, konnte die Verteidigung eine sehr detaillierte Fotoserie von allen Beschädigungen herstellen. Im Berufungsverfahren wurde ich als Sachverständiger bestellt und sollte insbesondere zu der Frage Stellung nehmen, ob das Herausschleudern nur in der Form - wie in der ersten Verhandlung angenommen - möglich gewesen sei. Ich musste demzufolge klären: Waren beide Personen nacheinander durch die Tür auf der Beifahrerseite herausgeschleudert worden oder könnte es auch noch andere Erklärungen
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