Ermittler in Weiß - Tote sagen aus
Mitbewohnerin offen stehe und alles voller Blut sei. Sofort begaben sich einige Kriminalisten hinüber und fanden die Korridortür im dritten Stock weit offen. Als sie in den Flur blickten, sahen sie massive Blutspuren an den Wänden, auf dem Boden und sogar an der Decke. Am Ende des Flurs lag die Wohnungsinhaberin, eine ältere Frau, in einer großen Blutlache. Bei genauerer Betrachtung entdeckten sie eine tiefe Schnittverletzung am Hals und Schnittverletzungen an beiden Handgelenken, wie man sie in typischer Weise bei Selbstmördern findet. Es stellte sich die Frage, ob hier möglicherweise ein Selbstmord vorlag oder ob ein solcher nur vorgetäuscht werden sollte. Auffällig war die Ähnlichkeit der Verletzungen mit denen des Kindes, bei dem ein Selbstmord auf jeden Fall ausschied. Die Kriminalisten fragten sich, ob zwischen den beiden Ereig-nissen irgendwelche Zusammenhänge bestehen und wenn ja, welche. Möglich wäre, dass die alte Frau das Kind getötet und dann in ihrer Wohnung Selbstmord begangen hatte. Aber für diese Annahme gab es erst recht kein Motiv, da keinerlei Beziehungen zwischen den beiden bestanden. Außerdem war kaum vorstellbar, dass diese alte und gebrechliche Frau das in den Teppich gewickelte Kind in den Keller getragen haben könnte. Die erste Befragung der Mitbewohner ergab überhaupt keinen Anhaltspunkt für ein Selbstmordmotiv der alten Dame. Im Gegenteil, sie wurde als recht lebenslustig geschildert. Die Spurensicherung, die Befragung der Nachbarn und die Suche nach möglichen Tatzeugen lief bis in die späten Abendstunden und musste zunächst ohne ein konkretes Ergebnis abgebrochen werden. Die Staatsanwaltschaft ordnete für den nächsten Tag eine gerichtliche Obduktion beider Leichen an. Wir fuhren am frühen Morgen los und waren gegen Mittag am Ort des Geschehens. Die erste Besichtigung der beiden Leichen, bei der älteren Frau vor allem die Beschaffenheit der Verletzungen, zeigte, dass ein Selbstmord auszuschließen war. Bei dem Kind sprach bereits das Alter dagegen. Bei der Frau fand sich ein tiefer, bis auf die Wirbelsäule gehender Schnitt an der Vorderseite des Halses. Luftröhre und Speiseröhre waren durchtrennt, ebenso die beiden großen Arterien, die das Gehirn mit Blut versorgen. Weiter wiesen beide Handgelenke tiefe, bis auf den Knochen gehende Schnitte auf, die auf beiden Seiten die Arterien völlig durchtrennt und zu hohem Blutverlust geführt hatten. Die zahlreichen Blutspuren in der Wohnung stammten eindeutig von der Wohnungsinhaberin, ihre massive Form war durch die Art der stark blutenden Verletzungen mit Durchtrennung mehrerer Schlagadern ohne weiteres zu erklären. Die Spuren an der Decke des Flurs zeigten das typische Bild einer spritzenden arteriellen Blutung und ließen in Verbindung mit den anderen Spuren erkennen, dass die alte Frau zumindest die ersten Verletzungen unmittelbar an der Korridortür erhalten hatte. Sie muss dann zurückgegangen oder -gedrängt worden sein und war am Ende des Korridors zusammengebrochen. Die Verletzungen sowohl am Hals als auch an den Handgelenken waren mit einem offenbar sehr scharfen Instrument beigebracht worden. Im Gegensatz zu Selbstmordverletzungen, die auf den ersten Blick ähnlich aussehen können, fehlten die so genannten Probierschnitte, die man fast immer bei Selbstmorden findet. Es handelt sich dabei um oberflächliche, parallel zur tief gehenden eigentlichen Verletzung verlaufende Schnittversuche, die der Selbstmörder sich beibringt, gewissermaßen als Probe und vielleicht auch, um die Schärfe des Messers auszuprobieren. Sie verlaufen deshalb parallel, weil sie mit der gleichen Hand und aus der gleichen Stellung heraus beigebracht werden. Da die Korridortür völlig unbeschädigt war und auch das Türschloss keine Hinweise auf ein gewaltsames Öffnen zeigte, musste angenommen werden, dass die Wohnungsinhaberin die Tür selbst geöffnet hatte. Da die Tür über einen Spion verfügte und die Frau somit sehen konnte, wer davor stand, war weiter zu vermuten, dass sie die Einlass begehrende Person gekannt haben musste. Die Befragungen der Nachbarn ergaben, dass die Mieterin, die eine Etage unter der Getöteten wohnte, sich in letzter Zeit etwas auffällig verhalten hatte. Sie hatte mehrfach geäußert, dass sie sich ständig beobachtet, verfolgt und bedroht fühle, darunter vor allem von der über ihr wohnenden Mieterin. Diese Schilderung legte den Verdacht auf das Vorhandensein einer Geisteskrankheit, einer paranoiden
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