Ernst Bienzle 14 - Bienzle und die lange Wut
nicht abriß, sagte: »No ja, er ischt halt a Sonderling. Ich, an seiner Stelle, wär nicht nach Heimerbach zurückgekommen. Sein Bruder ist doch hier der absolute Platzhirsch... gewesen. Und daß der ihn net hat hochkomme lasse, net wahr, das hätt der Martin ja wisse müsse.«
»Glauben Sie, er könnte jemanden umbringen?«
»Eigentlich nicht, höchstens seinen Bruder. Den hat er, glaub ich, so gehaßt, da wär alles möglich gewesen.«
Vater und Sohn Horrenried gingen die Stiergasse hinunter, ein schmales Sträßchen mit gepflasterten Rinnsteinen.
Winfried fragte: »Sag mal, was war eigentlich gestern Abend zwischen dir und dem Onkel Albert?«
»Na ja, ich hab... es ging um Geld.« Der Vater wirkte verlegen.
»Was? Wolltest du ihn etwa anpumpen?« Winfried lachte auf. »Den Onkel Albert...?«
»Na ja, es war für dich... ich meine: Es wäre für dich gewesen. Wegen deiner Schulden... Aber er hat sich bloß lustig gemacht über mich...«
Winfried legte den Arm um die Schultern seines Vaters. »Das hast du tatsächlich für mich gemacht? Das muß dich doch eine saumäßige Überwindung gekostet haben. Mensch, Vater!« Er zog ihn kräftig an sich. »Und was war dann...? Ich mein, hast du das so einfach weggesteckt?«
»Ich hab eine Mordswut im Bauch gehabt, das kannst du mir glauben...«
26
Joe stieg in Schorndorf aus der Bahn. Er schaute sich vorsichtig um, konnte aber niemanden entdecken, der ihn verfolgte. Schnell schritt er durch die kurze Unterführung und ging zielstrebig zu einer Quickfoto-Kabine in der kleinen Bahnhofshalle. Unter dem Vorhang sah er zwei Mädchenbeine in Jeans. Er faßte den Vorhang mit beiden Händen, wartete noch einen Moment und riß ihn dann auseinander. Aber auf dem Hocker in der Fotokabine saß nicht Mascha, sondern eine ganz andere junge Frau, die stinksauer reagierte, weil genau in dem Moment der Apparat blitzte und sie natürlich ihren Kopf dem Vorhang zugewendet hatte.
»Ey, du Arsch, was soll denn das...?«, schnappte sie.
Joe nuschelte eine Entschuldigung und zog den Vorhang rasch wieder zu. Ein wenig verstört wendete er sich ab – und stand direkt vor Mascha. Sie fielen sich in die Arme, preßten ihre Körper eng aneinander. Für ein paar Momente waren sie die glücklichsten Menschen auf der Welt. Die Frau im Quickfoto-Automaten machte den Vorhang auf, sah die beiden, lächelte, weil sich ihr ja nun alles erklärte, warf noch mal Geld ein und zog den Vorhang wieder zu.
»Los, komm!«, sagte Mascha, nahm Joes Hand und zog ihn zum Ausgang.
Auf dem Holzplatz vor der Maschinenhalle des Sägewerks arbeitete noch immer die Spurensicherung, als Bienzle und Bechtle zurückkehrten. Beamte hatten Reifenspuren mit einer Gipsmasse ausgegossen und lösten jetzt die Gipsprofile aus der Erde.
Bienzle ging, die Hände auf dem Rücken verschränkt, zu dem Fahrkran. Der Stamm, der Albert Horrenried beinahe erschlagen hätte, lag noch immer quer auf den Schienen. Bienzle schaute zu dem Greifer hinauf. Bechtle trat zu ihm.
»Die Kollegen haben drei verschiedene Reifenspuren von heut Nacht gefunden«, sagte der Polizeiobermeister bedächtig.
»Und woher wissen Sie, daß die von heut Nacht sind?«
»Gestern Abend hat es ungefähr von 20 Uhr bis 20 Uhr 30 geregnet«, sagte Bechtle stolz.
Bienzle erinnerte sich. »Stimmt!«
»Und die Spuren sind nach dem Regen entstanden.«
Bienzle nickte anerkennend. »Na bitte, geht doch!« Er ließ sich die Abdrücke geben und schaute sie genau an. Dann reichte er sie an Bechtle weiter. »Vergleichen mit den Fahrzeugen der Mitarbeiter hier! Und mit den Fahrzeugen der Verdächtigen!«
»Wer? Ich?«
»Wer’s macht, ist mir egal, Hauptsache, es wird g’macht!«
Bienzle ging weiter, nahm sein Handy aus der Innentasche der Jacke und wählte. Als er Verbindung hatte, sagte er: »Was ischt jetzt mit meiner Verstärkung...? Was heißt da ‹nicht zuständig›? ... Dann richten Sie’s aus: Ich brauch dringend jemand!« Er schaltete das Handy wieder aus.
Vom Haus her kam Inge Kranzmeier. Der Kommissar fragte: »Wie war denn aus Ihrer Sicht das Verhältnis zwischen dem Albert Horrenried und seinem Bruder?«
Inge wich aus. »Ich weiß das nicht so genau. Der Albert hat nie darüber gesprochen und so lang bin ich ja noch gar nicht hier.«
Bienzle schaute sie mit schief gelegtem Kopf an. »Und warum überhaupt?«
»Was warum?«
»Ich habe den Herrn Horrenried nur kurz kennen gelernt. Er war. sagen wir mal, er war kein besonders
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