Erntedank
war es wert: Manchmal hatte die Einschüchterungstaktik schon funktioniert.
»Ich frage Sie nun direkt: Wo waren Sie zur mutmaßlichen Zeit des Mordes an Frau Dr. Heiligenfeld, also am 24. September zwischen 20 Uhr und dem nächsten Morgen?«
»Weiß ich nicht. I hab doch nix g’macht. I kenn die nicht mal.«
»Denken Sie nach, Herr Brentano«, forderte Kluftinger, der erkannte, dass dessen Widerstand allmählich brach.
»Da war i daheim. Allein. Aber i hab nix g’macht, Herr Kommissar! Kreuzkruzifix! Bloß weil i g’sagt hab, dass i dem Sutter den Tod wünsch, der Drecksau.«
»Besitzen Sie eine Sense?« »Na.«
»Sicher?«
»I wohn im Hochhaus.«
»Gut – Sie bleiben bis auf Weiteres festgenommen, bis Sie bereit sind, genauere Angaben zu machen. Außerdem werden wir Ihr Alibi für den Mord an Herrn Sutter überprüfen. Wahrscheinlich werden Sie noch heute ins Gefängnis gebracht – in Untersuchungshaft.«
Mit diesen Worten überließ Kluftinger Brentano den uniformierten Kollegen und begab sich wieder nach oben in sein Kommissariat.
***
»Nix, gar nix. Das war wohl Brentanos Märchenstunde!«
Kluftinger wusste nicht recht, worauf Maier anspielte. »Hm?«
»Es gibt keinen Mehmet Erdogan in Kempten. Bis vor anderthalb Jahren war hier zwar eine Person dieses Namens gemeldet, seitdem ist Erdogan aber unbekannt ins Ausland verzogen«, triumphierte Maier.
»Das heißt also, Brentano hat für die Zeit des Mordes an Sutter zunächst mal kein Alibi, dafür aber ein sattes Motiv. Aber ich kann keinen Zusammenhang zur Heiligenfeld herstellen.«
»Sollen wir gleich eine Pressekonferenz anberaumen, in der wir die Ergreifung des Täters verkünden?«
»Auf keinen Fall! Wir haben mit Brentano zwar einen Verdächtigen und kriegen sogar vielleicht einen dünnen Haftbefehl, wenn wir uns beim Richter geschickt anstellen. Wir müssen ihm aber die Tat nachweisen – die Arbeit fängt also quasi erst an. Von Ergreifung kann noch keine Rede sein.«
»Aber es ist doch ein riesiger Erfolg … «
»Richard! Immer in der Ruhe bleiben, ja? Kümmere dich bitte um den Haftbefehl und lass Brentano erst mal ins Bühl verlegen!«
»In seine Wohnung?«, fragte Maier überrascht.
»In die JVA natürlich! Das neue Gefängnis ist auch am Bühl, oder?«, raunzte Kluftinger, der merkte, dass er allmählich Feierabend machen musste. Seine Nerven waren heute wirklich strapaziert worden.
»Richie, ich geh jetzt. Wenn alles erledigt ist, macht ihr auch Feierabend. Morgen Dienstbeginn für alle ab neun Uhr.«
»Aber … «
»Aber am Sonntag arbeiten wir dann auch, ja, Richard, keine Angst«, fiel Kluftinger ihm sogleich ins Wort. »Also, ich bin weg – bis morgen dann.«
Mit den Worten: »Ich bin übrigens die nächsten paar Stunden auch über Handy nicht erreichbar, Servus«, machte Kluftinger sich auf den Weg zur letzten großen Aufgabe, die an diesem Tag noch auf ihn wartete.
***
Ein Zwiespalt der Gefühle tobte im Kommissar, als er auf dem Parkplatz des großen neuen Erlebnisbades in Kempten stand und auf das Eintreffen seiner Frau und des Ehepaars Langhammer wartete. Einerseits hatten sie heute vielleicht den entscheidenden Schritt bei der Klärung der beiden Mordfälle getan. Andererseits wollte er die Freude darüber noch nicht richtig zulassen. Zu viele Fragen waren noch ungeklärt und er wusste nicht, wohin die Antworten führen würden. Überlagert wurde das alles im Moment aber von dem dumpfen Gefühl im Magen, das sich beim Anblick des riesigen Glasbaus vor ihm breit machte.
Er war nie ein großer Schwimmer gewesen. Genau wie er das Fliegen nicht mochte, hatte er auch mit dem Baden nicht viel am Hut, fühlte sich einfach wohler, wenn er festen Boden unter den Füßen hatte. Er war eben mehr für das Ergründliche. Er legte sich gerne einmal in die Liege im eigenen Garten, wo er sich keine Gedanken darüber machen musste, ob er vielleicht für ein so freizügiges Auftreten nicht schon zu sehr aus dem Leim gegangen war.
Außerdem wurden hier, im Angesicht der neuen Schwimmhalle, Erinnerungen heraufbeschworen, die er tief in sich vergraben hatte. Seine Grundschule hatte ein eigenes kleines Becken im Keller gehabt, eine für die damalige Zeit sehr fortschrittliche Einrichtung. Kluftinger aber hatte sie gehasst. Vor allem die Umkleidekabine. Weil seine Mutter stets darauf geachtet hatte, dass er auch warm genug angezogen war, hatte sie die langen Uniform-Unterhosen seines Vaters, der ebenfalls bei der
Weitere Kostenlose Bücher