Erntedank
überall dort verkauft werde, wo es Qualitätswerkzeug gebe. Er sah Kluftinger erstaunt an, als dieser sich mit einem Seufzen und den Worten »Hab ich befürchtet« zum Gehen wandte. Nach ein paar Metern drehte er sich noch einmal um und rief dem etwas verloren zwischen den Regalen stehenden Übelhör zu: »Ich überleg mir das noch mal.«
Auch wenn der Kommissar nicht gerade erwartet hatte, dass es sich bei der Mordwaffe um eine Sonderanfertigung handelte, ein etwas selteneres Modell hätte es schon sein können.
Da er nun schon mal hier war, wollte er sich privat noch etwas umsehen. Vielleicht gab es ja mal wieder eine Neuheit auf dem Werkzeugmarkt. Mit einem Gefühl, das – so dachte er – Frauen haben mussten, wenn sie durch Schuhläden streiften, durchmaß er langsam und sich aufmerksam umsehend den verwinkelten Verkaufsraum.
Sein Blick fiel auf ein hohes Regal, in dem ausschließlich Zubehör für Melkmaschinen sowie Pflegemittel für Kühe feilgeboten wurden: Gummizitzen gab es da ebenso wie Kuhbürsten verschiedener Stärke. Sogar Zahnbürsten waren dabei. Beim Gedanken an ein Braunvieh bei der Morgentoilette grinste er in sich hinein. Gleich daneben stand eine neue technische Errungenschaft: Eine automatische Kuhwaschanlage mit zwei riesigen rotierenden Bürsten mit Namen »Lucky Cow«. Ein Film über die Anlage lief davor in einem kleinen Fernseher. Da der Ton abgedreht war, wirkte die Szene geradezu grotesk und Kluftinger blieb eine Weile gedankenverloren davor stehen.
»Hoi, willst du jetzt Nebenerwerbs-Kuhputzer werden?«
Kluftinger erschrak. Er hatte nicht gehört, dass sich jemand genähert hatte. Er drehte sich um und blickte Eduard Schauer ins Gesicht, dem Leiter der Kimratshofener Filiale. Kluftinger kannte den Mittdreißiger, seit der als Kind im Freilichttheater den Tellbub gespielt hatte. Das Freilichtspiel, das alle paar Jahre mit großem Aufwand in der Gemeinde aufgeführt wurde, stürzte die Altusrieder in einen für Außenstehende schwer nachvollziehbaren kollektiven Theaterwahn. Da lernte man sich natürlich kennen.
»Servus, Klufti, kann ich dir irgendwas helfen?« Schauer grinste ihn aus seinem kantigen Schädel an und zeigte dabei sein riesiges Gebiss, das aussah, als steckten darin wesentlich mehr Zähne als bei anderen Menschen. Überhaupt hatte er von vielem mehr als andere. Mit seinen Einsfünfundneunzig wäre er schon eine stattliche Erscheinung gewesen; Respekt flößten Kluftinger wie auch allen anderen aber die riesigen Muskelberge des passionierten Bodybuilders ein, die selbst unter Hemd und Latzhose nicht zu übersehen waren.
»Danke, Edi, ich schau bloß grad so rum, was ich brauchen könnte. Für den Garten vielleicht.« Eigentlich war Kluftinger kein Freund von Spitznamen und in Schauers Fall klang die Verniedlichung geradezu absurd, aber jeder nannte Eduard Edi, was vielleicht an seinem – trotz der Muskelmasse – kindlichen Gemüt lag.
»Da hab ich was für dich, das musst du dir anschauen. Wir haben jetzt eine wahnsinnig robuste Workwear-Linie. Ganz neu.«
»Eine was, bitte?«
»Arbeitskleidung«, erklärte Schauer und zwinkerte ihm zu.
Natürlich hätte Kluftinger das mit seinen rudimentären Englischkenntnissen gerade noch selbst übersetzen können. Er war nur regelrecht schockiert, dass der »Englischwahn«, wie er die Vorliebe für anglophone Vokabeln nannte, sogar hier, im beinahe hintersten Winkel des Allgäus, im landwirtschaftlichen Lagerhaus, quasi »in the middle of nowhere« grassierte. Das war ihm zu viel.
»Workwear«, wiederholte er deshalb kopfschüttelnd, während er Edi Schauer, seinerseits in roter »Workwear« gekleidet, in eine andere Ecke des Ladens folgte.
»Da, schau, Schnittschutzhosen, Schnittschutzjacken und Fleece-Hosen, dazu gibt es Basic-Wear und Sportswear.«
»Was für Zeug?«
»Sportswear … Apropos, das gefällt dir bestimmt! Schau mal, das ist die komplette Lumbersports-Kollektion eines großen Kettensägenherstellers. Super Qualität. Alles High-End-Produkte. Haben wir neu im Programm.«
»Sag mal, Edi: spinnst du jetzt? Was erzählst du mir denn für einen Schmarrn?«, entrüstete sich Kluftinger ganz offen. Schauer kannte er lange genug, er musste bei ihm kein Blatt vor den Mund nehmen. »Workwear und High-End. Habt ihr euch überlegt, dass wahrscheinlich über die Hälfte von euren Kunden gar kein Englisch spricht?«
Schauer dachte kurz nach und grinste. Dann legte er ihm seine riesige Pranke auf die
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