Erntedank
verdrängen.
»Würdest du dich darum kümmern?«, riss er schließlich auch Hefele aus seiner Lethargie.
»Natürlich, sicher«, entgegnete der schnell, stand auf und verließ rasch das Büro. In der Türe stieß er beinahe mit Dietmar Lodenbacher, dem Leiter der Direktion zusammen. »Wos gibt’s na so Brisants?«, wollte er mit Blick auf den davon eilenden Hefele wissen.
Als ihm der Kommissar von der Sense erzählte, schüttelte er zunächst ungläubig den Kopf, nur um dann den Kommissar in geschäftsmäßigem Ton darauf zu verpflichten, das alles mit »vüi Fingerspitzngfüih« und mit äußerster Diskretion zu behandeln. Mit einem ironischen »Danke, das ist ein sehr nützlicher Hinweis«, begleitete er Lodenbacher und Böhm zur Tür hinaus.
***
»Ihre Frau is am Telefon!«
Kluftinger hatte gar nicht gehört, dass seine Sekretärin ins Zimmer gekommen war. Er hatte sich auf die kleine Couch gesetzt, um das eben Gehörte erst einmal zu verdauen. Dieser rätselhafte Leichenfund, das grausige Mordwerkzeug … das alles erzeugte in ihm ein Gefühl der Beklemmung, wie er es in seinen vielen Dienstjahren noch nicht erlebt hatte.
»Wie? Ach ja, legen Sie’s rein«, antwortete er abwesend.
Als er den Hörer abnahm, erwartete ihn die erste gute Nachricht des Tages: Seine Frau teilte ihm mit, dass das Problem mit den Rohren überraschend schnell behoben worden sei. Kluftinger grinste. Hatte er mit seiner kleinen »Bestechung« also doch Erfolg gehabt. Er bat sich noch aus, am Abend Kässpatzen und einen Zwetschgendatschi zu bekommen, und legte den Hörer auf.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es bis Feierabend noch einige Stunden waren. Er würde einige fällige Berichte diktieren und dann nach Hause fahren. Allerdings nahm er sich vor, einen kleinen Umweg zu machen und vorher noch kurz bei der »LVA« vorbeizuschauen. Er interessierte sich auf einmal sehr für die Sensen, die sie dort im Sortiment hatten.
***
Kluftinger lenkte seinen Wagen aus Altusried heraus nach Kimratshofen, einen kleinen Ort, der bei der Gebietsreform seiner Heimatgemeinde zugeschlagen worden war. Der Weg führte ihn durch eine hügelige Landschaft, die eigentlich eher zum angrenzenden Oberschwaben als zum Oberallgäu passte. Er passierte eine kleine Allee, deren Bäume bereits deutliche gelbliche und rotbraune Blattränder zeigten.
In Kimratshofen bog Kluftinger auf den Hof der »Landwirtschaftlichen Verkaufsgenossenschaft Allgäu e.G.« ein. Diese Organisation hatte einige Dependancen im Allgäu, wurde von Handwerkern, Heimwerkern, Landwirten und solchen, die gern welche gewesen wären, kurz LVA genannt und war so etwas wie ein riesiger Tante-Emma-Laden für rustikale Allgäuer und gleichzeitig eine Art Spielplatz für Erwachsene: Von Traktoren über Rasenmäher, von Schneefräsen und Motorsägen über Melkmaschinenzubehör, Autobatterien, Hobelmaschinen, Werkzeuge aller Art und sämtliches Baumaterial ging das Angebot bis hin zu Lebensmitteln, Arbeitskleidung, Schreibwaren und Kosmetika. Und selbst seinen Kasten Bier konnte man sich hier holen. Jeder konnte hier einkaufen; allerdings kam man in den Genuss von Prozenten, wenn man eine Einlage machte und Genossenschaftsmitglied wurde. Das taten diejenigen, die hier sehr teure Geräte erwarben, die Futtermittel für ihren landwirtschaftlichen Betrieb bei der LVA bezogen, und einige besonders sparsame Allgäuer, die sich nur ab und zu einen Kasten Wasser oder eine Dose Rinderbrühe kauften.
Kluftinger kannte die Niederlassung in Kimratshofen recht gut, schließlich holte auch er hier Gartenzubehör und Baumaterialien. Und seitdem Kluftinger Mitglied der Genossenschaft geworden war, kauften sie auch ihre Getränke hier. Sogar das Heizöl lieferte den Kluftingers die LVA. Obwohl es dafür keinen Rabatt gab. Allerdings war er schon länger nicht mehr dort gewesen; auch er war zeitweise dem Glanz eines neuen Riesen-Baumarktes verfallen, der in Kempten im letzten Jahr eröffnet worden war. Eine Treulosigkeit, die er jetzt, als er über den so vertrauten Hof marschierte, mit einem Kopfschütteln quittierte.
Kluftinger ließ die große Landmaschinenwerkstatt links liegen und betrat den Verkaufsraum. Sicher steuerte er nach rechts, vorbei an den Regalen, in denen Fertigsuppen, Riesensäcke voller Reis und Nudeln von Socken, Schnürsenkeln und Schuhen gefolgt wurden. Sogar Haferlschuhe gab es hier und beinahe wäre er bei ihnen hängen geblieben. Doch er besann sich auf den eigentlichen
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