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Erntedank

Erntedank

Titel: Erntedank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Michael; Klüpfel Kobr
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schwer, solche Dinge zu glauben. Er suchte in allem die rationale, die logische Erklärung.
    »Na ja, also … das stimmt schon irgendwie«, wand sich der Kommissar. »Aber mal ehrlich: Wenn man schon nicht genau sagen kann, was es ist, dann kann es ja auch was ganz Natürliches sein, was man eben nur noch nicht gefunden hat.«
    »Sicher, ich sage ja nicht, dass es irgendwas mit Geistern aus dem Totenreich zu tun hat. Ich meine nur, dass hier Kräfte am Werk sind, die wir noch nicht in ihrem ganzen Ausmaß verstanden haben. Vielleicht eines Tages – und dann werden sie uns nicht mehr so mysteriös vorkommen.«
    Kluftinger musste Annegret erneut zustimmen. Das Gespräch begann ihn langsam zu interessieren.
    »Weißt du nicht mehr, damals, als du dich so verbrannt hast? Da bist du doch auch zum Gesundbeten gegangen.«
    Seine Frau hatte Recht. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht. Vor einigen Jahren hatte er sich beim Grillen das Gesicht verbrannt, weil er der Glut mit einem ordentlichen Schuss Spiritus hatte nachhelfen wollen. Natürlich war er sofort zum Arzt gegangen, aber kurze Zeit später eben auch zum Gesundbeter, weil die Wunde immer weiter nässte und einfach nicht verheilen wollte. Das war im Allgäu eigentlich kein seltenes Vorgehen. Fast jeder kannte irgendjemanden, dem das Gesundbeten schon genutzt hatte. Und auch in Altusried gab es ein paar, meist sehr alte Menschen, die diese Kunst beherrschten. Kluftinger hatte es damals sehr geholfen; auch sein Hausarzt war überrascht von der schnellen Heilung, jedenfalls bis Kluftinger ihm von seinem Besuch bei der alten Christl erzählte, wie die bekannteste Gesundbeterin im Ort genannt wurde. Sein Arzt hatte ihm sogar empfohlen, sie ruhig noch ein paar Mal aufzusuchen.
    »Also gut, ich geb’s auf«, seufzte er schließlich. »Aber eins könnt ihr mir nicht weismachen, dass so ein Ding da funktioniert.« Bei diesen Worten zeigte er auf den Fernseher – und wurde blass. Inzwischen war auch die Pyramide ausverkauft und Francesco wies mit seiner bleichen Hand gerade auf das »Angebot der Woche« hin: die Waterella. Geschockt registrierte er, dass sie etwa zehn Euro billiger war als bei der LVA. Und gerade zeigte ein hausgemachtes Filmchen die gleichen Versprechungen, die ihn von der Notwendigkeit dieses »Kalkwandlers« überzeugt hatten. Kluftingers Mund wurde trocken.
    Die beiden Frauen aber waren so zufrieden mit der geleisteten Überzeugungsarbeit, dass sie sein wortloses Aufstehen als Zeichen seiner Niederlage deuteten. Dass er draußen die Tüte mit seinem Einkauf nahm, um sie ganz unten im Schrank des Abstellraumes zu verstecken, entging ihnen dabei.

Lieb Denkeli, Vergiß mein nicht,
    Er weiß schon, was dein Name spricht,
    Dich seufzerumschwirrte
    Brautkränzende Myrte,
    Selbst euch Immortellen
    Wird alle er fällen!
    Müßt in den Erntekranz hinein,
    Hüte dich schöns Blümelein!

Kluftinger ließ sich am Montagmorgen Zeit, ins Büro zu kommen. Nicht, dass er mit Unlust dorthin gegangen wäre. Im Gegenteil, gerade am Beginn einer neuen Woche freute er sich regelrecht darauf, seiner Arbeit, die ihn trotz vieler Widrigkeiten ausfüllte, wieder nachgehen zu können. Und an diesem Wochenende hatte er sowieso keine wirkliche Ruhe gefunden, lag doch ein spektakulärer ungeklärter Fall auf den Schreibtischen der Kemptener Kriminalpolizei. Hinzu kam, dass am Samstag nicht nur die Zeitungen und das Regionalfernsehen, sondern auch der Bayerische Rundfunk und die Süddeutsche darüber informiert hatten. Und die sorgten dann dafür, dass selbst zahlreiche Boulevardblätter die Pressestelle mit Anrufen überschütteten.
    Kluftinger genoss es dennoch, diesen Montag etwas später zu kommen, gemütlich in seiner Küche die Zeitung zu lesen, ausgiebig Toilette zu machen und sich dann mit zelebrierter Langsamkeit auf den Weg zu begeben. Dieses Ritual half ihm für kurze Zeit zu verdrängen, dass Montage, vor allem aufgrund der abendlichen Musikprobe, noch eine ganze Menge Unbill für ihn parat hielten.
    Mit einer frischen Brotzeit gewappnet, betrat er schließlich ausnahmsweise nach allen anderen Kollegen sein Büro. Es blieb aber noch genügend Zeit, sich einen Überblick über die aktuelle Lage zu verschaffen, eine kurze Besprechung mit den Kollegen seiner Abteilung abzuhalten, bis Kluftingers Weg ihn zu einem festen Ritual der Polizeidirektion Kempten führte: dem »Jour fixe« am Montag um halb zehn. Übrigens eine Bezeichnung, die er trotz seines gespaltenen

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