Erntemord
und zuckte zusammen. Seine Stimme hatte den Traum verscheucht, doch sie hatte noch immer Angst, die Augen zu öffnen.
Ein Albtraum war leicht zu erklären.
Aber zwei?
Jeremy saß an ihrer Seite. Und der Morgen brach tatsächlich an, das Licht war so dunstig wie in ihrem Traum. Sie hatten sich nicht die Mühe gemacht, die Vorhänge zuzuziehen, bevor sie ins Bett getaumelt waren, und nun kroch das dünne Licht ins Schlafzimmer.
Er hat ein schönes Gesicht, dachte sie, auch wenn ein Mann ein solches Kompliment kaum hören will. Seine Kieferpartie war ausprägt, die Nase gerade und perfekt, der Mund großzügig und breit, und sein dunkles, kastanienbraunes Haar war eine ideale Ergänzung zu seinen großen grauen Augen und den kräftigen Augenbrauen. Seine Stirn lag jetzt in Sorgenfalten. Er war bereits aufgestanden, bemerkte sie, denn er war schon angezogen.
Doch er war wieder auf dem Bett, an ihrer Seite und hielt sie fest.
„Hmm … Guten Morgen“, flüsterte sie.
„Du hast wieder geträumt. Wieder ein Albtraum.“
„Es tut mir leid. Ich mache das nicht immer – ehrlich“, sagte sie.
„Worum geht es?“
„Wobei?“
„In deinem Traum. Wovon hast du geträumt? Ich hoffe, es sind keine Albträume von mir“, neckte er sie.
„Nein, natürlich nicht.“
„Was dann?“
„Ich erinnere mich nicht.“
„Dann hast du vielleicht doch von mir geträumt“, sagte er.
„Mal ernsthaft, du erinnerst dich wirklich nicht?“
Er klingt besorgt, dachte sie, doch als sie den Kopf schüttelte, stand er nur auf und sah auf sie hinunter.
„Ich habe Kaffee gekocht“, sagte er. „Und ich habe ein paar kleine Päckchen von diesem Kaffeeweißer gefunden.“
Sie bemerkte, dass sein Haar feucht war. Offenbar hatte erauch die Dusche gefunden. Eindeutig war er bereits eine Zeit lang auf, und sie fragte sich, wie lange er sie hatte träumen sehen, bevor er sie geweckt hatte. Sie verstand nicht, was ihn daran störte, dass sie sich an den Inhalt ihres Traumes nicht erinnerte.
Weil sie eine lausige Lügnerin war und er nicht gerne belogen wurde? Vielleicht.
Doch sie hatte das merkwürdige Gefühl, dass mehr dahintersteckte.
„Kaffee“, sagte sie, „klingt göttlich.“
Er nickte kurz und ging nach unten. Sie fragte sich unwillkürlich, ob sie irgendwas getan hatte, das ihn störte. Fanden frisch Verliebte es nicht immer geradezu unmöglich, einander zu widerstehen?
Sie duschte rasch und fand ihn abfahrbereit, als sie wenig später nach unten ging. „Ich muss Brad um neun Uhr abholen. Wir wollen jeden Schritt von jenem Tag wiederholen, um zu sehen, ob es nicht irgendetwas gibt, das uns bislang entgangen ist.“
„Gute Idee“, sagte sie und fragte sich, warum ihr plötzlich so unbehaglich war. Das Tageslicht kam durch, und dies war ihr Zuhause, um Gottes willen. Es würde ihr gut gehen.
Sie würde erst einmal auspacken. Und dann würde sie genau das tun, was sie Joe gestern versprochen hatte, als er sie vorm Hawthorne abgesetzt hatte. Sie würde in sein Büro fahren und mit ihm sprechen. Allein.
„Möchtest du mit uns zu Mittag essen?“, unterbrach Jeremy ihre Gedanken.
„Gerne, wenn euch ein später Lunch nichts ausmacht. Ich habe noch das eine oder andere zu erledigen“, erwiderte sie.
Er küsste sie, sah ihr in die Augen und lächelte. „Bis dann. Äh, du hast ein Auto, oder?“, fragte er.
Sie lachte. „Ich habe ein Auto, ja, natürlich. Es steht hinten in der Garage.“
Er umarmte sie, und sie spürte die Waffe in seinem Hosenbund. Aus irgendeinem merkwürdigen Grund durchfuhr sie ein Schreck. Sie wusste, dass er berechtigt war, eine Waffe zu tragen. Es sollte also kein Schock für sie sein.
Doch das war es.
„Um wie viel Uhr?“, fragte er.
„Wir wär’s gegen zwei?“
„Klingt gut. Wo?“
Sie nannte ein Restaurant unten am Fluss. Wenn sie Brad traf, sollten sie nicht allzu nah am Friedhof sein. Der Mann sollte seinen Lunch genießen, ohne den Ort im Blick zu haben, an dem er seine Frau zuletzt gesehen hatte.
„Dann sehen wir uns dort“, sagte Jeremy und ging.
Sie lauschte dem sich entfernenden Wagen. Dann sah sie zu ihren Koffern. Sie entschied, erst auszupacken und dann zu den MacElroys hinüberzulaufen, um sich zurückzumelden und ihnen zu sagen, dass in den nächsten Tagen vielleicht öfter ein fremder Wagen in ihrer Auffahrt stehen könnte. Danach könnte sie dann in die Stadt fahren, um Joe zu treffen.
Als sie Brads Bed and Breakfast verließen, erklärte Jeremy seinem
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