Ernten und Sterben (German Edition)
Mir egal, ob du auf Chef machst oder nicht.« Im Davonhumpeln winkte Paul mit seinem Stock. »Sonst machst du Bekanntschaft mit diesem Hartholz!«
Ich brauch einen Mundschutz, dachte Egon-Erwin in stiller Verzweiflung. Doch dank Pauls punktgenauer Recherche hatte er in fünf Minuten alles gefunden. Mit den Zeitungen unterm Arm, hatte er nichts anderes im Sinn, als diese Vorhölle zu verlassen.
Doch Paul stellte sich ihm in den Weg und stocherte mit seinem Gehstock in Egon-Erwins Bierbauch. »Das wird hier kopiert. Kein Blatt Papier verlässt diesen Raum. Da drüben steht der Vervielfältigungsapparat. Ich hab ihn schon mal vorgewärmt.«
»Mach du das!« Egon-Erwin sah sich den bedrohlich brummenden Riesenkasten an. »Ich hab Angst vor alter Technik. Sieht aus wie eine Apparatur aus einem Stephen-King-Horrorschocker.«
»Papperlapapp!«, sagte Paul. »Kopier schon.« Er bewachte den Ausgang wie ein Navy Seal, während sein Kollege sich mit der großformatigen Tageszeitung abmühte und das Papier auf der alten zerkratzten Glasplatte festhielt. Dann erst konnte er den Zerberus passieren und die Treppen zur Redaktion hochsteigen. Zurück am Schreibtisch wunderte sich Egon-Erwin über die Qualität des Kopierpapiers, das so dünn wie Butterbrotpapier war. Doch dann las er sich fest. Später packte er alles zusammen, meldete sich bei Inge ab und fuhr mit dem Auto nach Klein-Büchsen zu Albertine.
»Na, da hast du dir ja einen langen Büroschlaf genehmigt.« Albertine hielt Egon-Erwin eine Flasche Bier hin.
»Hier verkommen ja die Tischsitten total. Trinkt ihr jetzt schon am Tag?«, sagte Egon-Erwin.
»Wir wollen nur Clementine die Arbeit erleichtern, da muss sie nicht so viel spülen. Stimmt’s oder hab ich recht?« Hubertus prostete Clementine zu, die schon dem dänischen Bio-Schnaps zusprach und ihr Wasserglas zum Gruß durch die Luft schwenkte.
»Soll ich morgen wiederkommen?«, fragte Egon-Erwin, dessen Mitteilungsbedürfnis so eruptiv wie ein Vulkan war.
»Zieh Leine, wir haben Feierabend«, sagte Hubertus durch eine undurchdringliche Wolke Zigarrenqualm.
»Das ist mein Wohnzimmer, und selbstverständlich erzählt Egon-Erwin uns, was er herausgefunden hat.« Albertine klopfte zur Bestätigung auf die Sitzfläche des Stuhls direkt neben ihr.
»Ich glaube, dass ich eine heiße Spur habe.« Egon-Erwin ließ sich auf den Stuhl fallen. »Anfang der achtziger Jahre ist der Kreisjägermeister Baldur Wild von einem Tag auf den anderen spurlos verschwunden. Er hat in dem uralten Forsthaus gelebt – das liegt nur ein paar Kilometer von hier mitten im Wald. Seine Frau ist früh verstorben, und er hat seinen einzigen Sohn Horst allein großgezogen. Noch weiß ich nicht, woher Baldur Wild stammt und ob es noch weitere Mitglieder der Familie gibt. Auf jeden Fall hat Horst drei Semester Forstwirtschaft in Freising studiert und dann den Posten seines Vaters übernommen. Ich habe im Auto ein wenig telefoniert. Und jetzt kommt’s!« Egon-Erwin hielt kurz inne und ließ den Blick in die Runde schweifen. »Horst Wild war nicht bei dem DNA -Screening dabei, weil seine Försterei nicht zur Gemeinde Klein-Büchsen, sondern zu Groß-Büchsen gehört. Und: Sein Patenonkel ist der Bürgermeister. Der müsste sehr viel mehr über die Familie Wild wissen. Ich habe mir erzählen lassen, dass Horst Wild noch nie verheiratet war, also alleinstehend ist. Da muss man doch nur eins und eins zusammenzählen.« Er schlug leicht mit der flachen Hand auf den Tisch. »Wir sollten uns diesen Jägermeister einmal ganz genau ansehen.«
»Also ich finde, wir sollten erst einmal Focken befragen und keine voreiligen Schlüsse ohne wasserdichte Beweise ziehen«, sagte Albertine. »Denkt daran, was wir beim Bürgermeister schon so alles angerichtet haben.«
»Na, das geht zur Hälfte auf sein Konto.« Hubertus drehte sein leeres Glas um. »Ham wir noch Nachschub?«
»Eine Flasche und danach ist Schluss«, sagte Clementine und ließ den Korken ploppen.
»Oh, Sünde, und dann wird der gute Tropfen nicht einmal dekantiert. Ich bin unter die Barbaren geraten.« Überaus theatralisch zog Hubertus an seiner Zigarre.
»Klar, und zieht dabei an einer teuren Cohiba wie ein Staubsauger. Das hat ja so was von keinen Stil.« Albertine grinste, wurde aber sofort ernst. »Mach doch bitte einen Termin mit dem Bürgermeister aus, Hubertus, und halt keine Volksreden.« Sie wandte sich an Egon-Erwin. »Das klingt wirklich vielversprechend. Aber sollten wir nicht
Weitere Kostenlose Bücher